La Losilla / Añora (Córdoba)


Das Christentum an neuen Plätzen: Zur Ausbildung neuer Siedlungsstrukturen im ländlichen Bereich der Baetica im 6. Jahrhundert.


Das Projekt befasst sich mit den Resten einer Kirche aus spätantiker Zeit, die sich auf der Flur ‚La Losilla‘ bei Añora (Córdoba) in Andalusien befindet. Neben dem Kirchenrest selbst ist die dazugehörige Nekropole von Interesse, aber auch der Kontext, in dem der Bau entstanden ist und genutzt wurde.

Abb_A

In der Spätantike erfuhren die römischen Provinzen Hispaniens starke Umbrüche und Transformationen: Auf den Untergang von Westrom und die Völkerwanderung im 5. folgte zu Beginn des 6. Jhs. die Einwanderung der Westgoten, die hier ihr Toledanisches Königreich konsolidierten, das bis zur arabischen Invasion 711 bestand. Dabei ist das Ausmaß der Christianisierung der Halbinsel nach wie vor unklar, insbesondere, inwieweit christliche Gemeinden bis dahin nicht nur in den städtischen Zentren, sondern auch in den ländlichen Bereichen etabliert waren oder nicht. Durch Ausgrabungen spätantiker Kirchen ist eine Reihe ländlicher Siedlungsplätze in Hispanien erfasst, die im 6. Jh. ex novo gegründet wurden. Womöglich koinzidierten diese Veränderungen in der Siedlungsstruktur nicht zufällig mit den Umbrüchen des 5. bis 6. Jhs. und der Migration der Westgoten, sondern waren deren unmittelbare oder mittelbare Folge. Mit dem hier vorgestellten Projekt wird dem Phänomen in der historischen Mikroregion ‚Los Pedroches‘ (Region Andalucía) exemplarisch nachgegangen: Hier lagen die römischen Municipia Solia und Baedro, außerdem zwei jener Kirchen des 6. Jhs., ‚El Germo‘ bei Espiel und ‚La Losilla‘ bei Añora. Die grabungsarchäologische Untersuchung von ‚La Losilla‘ ist eine wesentliche Komponente des hier vorgestellte Forschungsprojektes: Im Bodenbefund sind dort die Reste einer Basilika, einer Nekropole und umgebender Profanbebauung vergleichsweise gut erhalten. Eine zwischen 2013 und 2016 von der Abteilung Madrid des Deutschen Archäologischen Instituts durchgeführte vorbereitende Projektphase hat grundlegende Informationen erbracht und das große Potential des Fundplatzes bestätigt. Es wird erwartet, dass die geplanten zielgerichteten Untersuchungen unsere Kenntnisse zu diesen ländlichen Siedlungen und den Umständen ihrer Gründung erweitern und damit die Entwicklungen des 6. Jhs. auch außerhalb der städtischen Zentren erhellen.

Geschichte und Forschungsgeschichte
Der Ort Añora und der Fundplatz liegen in der Landschaft ‚Los Pedroches‘, die sich am südlichen Rand der Kastilischen Hochebene befindet, ungefähr 80 km nördlich der Provinzhauptstadt Córdoba. Die Ebene der ‚Pedroches‘ liegt auf 500 bis 700 m Höhe über NN innerhalb der Sierra Morena, die die kastilische Hochebene von der Senke des Guadalquivir trennt.

Karte

Über die Geschichte der Kirche selbst sind derzeit keinerlei Schriftquellen oder Dokumente bekannt. Der Ort Añora selbst erscheint in Dokumenten des 15. Jhs., zunächst nur als eine Ansammlung von Häusern in der Nachbarschaft einer ‚Noria‘, der er mutmaßlich auch seinen Namen schuldet. Seit dem 16. Jh. wird die Siedlung regelmäßig als eine der „siete villas de Los Pedroches“ genannt, die im ‚Valle de Los Pedroches‘ liegen und deren Hauptort Pedroches selbst darstellt, den bereits im 12. Jh. der arabische Geograph al-Idrisi in seiner Beschreibung Hispaniens genannt hatte. Einen wichtigen Aspekt für die Christianisierung der Region in spätantiker Zeit stellt die Nennung des Presbyters Cumancius aus einem Ort „Solia“ bereits in den Akten des Konzils zu Elvira vom Ende des 3. oder vom Beginn des 4. Jhs. dar: „Solia“ ist zwar bis heute nicht eindeutig identifiziert, läßt sich aber anhand von Inschriftenfunden im Bereich der ‚Valle de los Pedroches‘ lokalisieren – möglicherweise ist er identisch mit der Wüstung auf dem ‚Cerro de Majadaiglesia‘ bei der neuzeitlichen ‚Ermita de las Cruces‘ unweit des heutigen Ortes El Guijo. Vermutlich erst aus späteren Epochen stammen zwei monumentale Zeugnisse des spätantiken Christentums, die jeweils in nur geringer Entfernung zum hier vorgestellten Fundplatz liegen: Erstens die innerhalb ‚Ermita de las Cruces‘ bei El Guijo erhaltene vierpaßförmige Taufpiscina, deren weiterer archäologischer Kontext nicht erforscht ist, und zweitens die – ebenfalls mit Baptisterium ausgestattete – dreischiffige Basilika von ‚El Germo‘ bei Espiel, die zunächst Ende des 19. Jhs. und dann erneut in den späten 1960er Jahren ausgegraben wurde.
Zum Kirchenrest bei Añora hatten bis vor kurzem nur geringe Vorarbeiten vorgelegen: Entlang des Weges, der von Añora nach Los Pedroches führt, sind bereits in der Literatur des 18. Jhs. „römische Gräber“ überliefert, die mit großer Wahrscheinlichkeit mit der Fundstelle in Verbindung gebracht werden können. Bis in die heutige Zeit wird das Gelände von Raubgräbern und Sondengängern heimgesucht, deren Wirken sich in den zahlreichen Raublöchern manifestiert hat. Eine erste grabungsarchäologische Unternehmung erfolgten erst 1994 infolge erneuter Raubgrabungen: Seinerzeit hatte der spanische Kollege Antonio Arévalo Santos einige Sondagen realisiert, in deren Verlauf vor allem vier Gräber freigelegt wurden. Während eines der Gräber bereits zuvor geplündert worden war, enthielten drei von ihnen noch Gebeine sowie eine geringe Zahl an Beigaben. Außerdem kamen Fragmente einer marmornen Inschriftentafel zutage, die sich auf Grundlage paläographischer Charakteristika in den Zeitraum des 6. bis 7. Jhs. ansetzen lässt.
Ein begrenztes Forschungsprojekt, das der Evaluation des Fundplatzes und seines Potentials diente, ist zwischen März 2013 und Oktober 2016 von der Madrider Abteilung des DAI durchgeführt worden: Eine Kampagne zur Aufnahme des Oberflächenbefundes fand im September 2013 statt, in den Jahren 2014, 2015 und 2016 folgten erste begrenzte Grabungskampagnen [La Losilla / Añora (Córdoba) 2013-2016].

Kampagne1

Das hier präsentierte Vorhaben wird seit August 2018 von der Christlichen Archäologie und Byzantinischen Kunstgeschichte der Georg-August-Universität in Göttingen aus betrieben. Die Finanzierung erfolgt durch das BMBF im Rahmen des Förderprogrammes 'Kleine Fächer – große Potentiale', die Betreuung durch den DLR Projektträger. Das Vorhaben hat eine Laufzeit von drei Jahren; innerhalb dieses Zeitraumes ist die Durchführung dreier Grabungskampagnen geplant.
Die wesentlichen Aspekte, zu dem das hier vorgestellte Projekt Erkenntnisse liefern soll, ist die Frage nach der Christianisierung des ländlichen Raumes im spätantiken Hispanien sowie die Veränderungen der Siedlungsstruktur zwischen dem 5. und 7. Jh. speziell im ländlichen Bereich der Baetica. Die Kirche und die zugehörige Siedlung scheinen eine spätantike Gründung auf zuvor freier Flur gewesen zu sein: Die früheste datierbare Fundkeramik stammt erst aus dem 5. bis 6. Jh., für die Zeit davor ist bislang keinerlei Besiedlung nachweisbar. Das späteste Material datiert nicht jünger als in das 8. bis 9. Jh., was an einen Abbruch der Nutzung infolge der arabischen Invasion und des Untergangs des westgotischen Königreiches von Toledo denken lässt.

Fläschchen

Die Ausgrabungen werden Einzelheiten des Kirchenbaus selbst, nämlich Bautypus und Ausstattung ans Licht bringen und unsere Vorstellungen zu den Charakteristika spätantiker Gotteshäuser in Hispanien ergänzen. Es soll zudem versucht werden, durch die Erfassung umgebender Strukturen, womöglich Reste ehemaliger Bebauungen, auch den Kontext der Kirche zu ermitteln: Möglicherweise werden die Funde und Befunde die Rekonstruktion einer Siedlung ermöglichen, zu der die Kirche – vielleicht in Funktion einer Pfarrkirche – gehört haben könnte. Vielleicht ergeben sich aber auch Hinweise auf einen Gutshof, in dessen Kontext der Bau dann eher als Eigenkirche eines Landbesitzers errichtet worden wäre und dort als Gutsoratorium genutzt worden wäre. Angesichts der Ergebnisse der Grabungen von 1994 sowie zwischen 2014 und 2016 besteht außerdem die Hoffnung, im Bereich der Nekropole noch weitere ungestörte Gräber freilegen zu können, die uns Aufschlüsse über das Profil der Gesellschaft, die sich hier beisetzen ließ, zu gewinnen.
Die Erkenntnisse zum Fundplatz ‚La Losilla‘ sollen dann mit den übrigen Funden und Befunden spätantiker Zeit in der ‚Valle de los Pedroches‘ kontextualisiert werden, um Aussagen zu den eingangs angesprochenen Fragestellungen und Phänomenen treffen zu können. Neben den beiden anderen genannten Fundplätzen – auf dem ‚Cerro de Majadaiglesia‘ und auf dem ‚Cerro del Germo‘ – sind hier neben dem epigraphischen Material auch die Schriftquellen des Toledanischen Westgotenreiches von Bedeutung.

Logo klein

Projektleitung: Dr. Fedor Schlimbach
Laufzeit: August 2018 - März 2022