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Interview mit Prof. Dr. Felicitas Macgilchrist, Universität Göttingen / Georg-Eckert-Institut für Schulbuchforschung Braunschweig
(speziell zum Workshop "Digitalität, Gesellschaft, Geschichte: „Through the Darkest of Times“")
Beitrag herunterladen (MP3)
Hannah Rudolph (Göttingen) und Max Rieger (Hagen) haben die Konferenz im Auftrag der Organisator*innen als Korrespondenten und Kommentatoren begleitet.
Konferenz "nachhaltig digital – digital nachhaltig" – Ein Rückblick
„Es ist höchste Zeit, Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Zusammenhang zu betrachten.“ Unter diesem Motto lud die virtuelle Konferenz "nachhaltig digital – digital nachhaltig" (4.-5. Dezember 2020) an der Georg-August-Universität Göttingen zu einer zweitägigen interdisziplinären Debatte. Insgesamt neun digitale Workshops widmeten sich dem komplexen Spannungsverhältnis von Digitalisierung und Nachhaltigkeit in den Bereichen Mobilität, Energie, Landwirtschaft, Forst, Künstliche Intelligenz und den Geisteswissenschaften.
Der Techniksoziologe Felix Sühlmann-Faul beschrieb die Gestaltung des digitalen Strukturwandels in seinem Einführungsvortrag als einen „Tanz zwischen technischem Fortschritt und der Gesellschaft“. Digitalisierung sei, so Sühlmann-Faul, kein selbst gesteuerter Faktor. Der Tanz könne geführt und somit in Richtung einer nachhaltigen Zukunft gelenkt werden.
Die interdisziplinären Workshops der Konferenz haben gezeigt: Der digitale Strukturwandel ist längst kein simpler Hochzeitstanz mehr, der in trauter Zweisamkeit von Technik und Gesellschaft vollführt wird. Vielmehr handelt es sich um eine Art Wiener Opernball. Auf diesem tanzen unzählige Akteur*innen den schnellen Wiener Walzer der Digitalisierung. Die Komplexität dieser Szenerie ist ungleich größer und komplexer, denn jedes Tanzpaar ist über Wechselwirkung letztendlich mit allen anderen Tanzpaaren verbunden und hat die Möglichkeit das Gesamtsystem zu beeinflussen. Lesen Sie weiter
Anregungen, welche Effizienzgewinne die Digitalisierung ermöglichen kann, gab parallel dazu der Workshop "Digitale Nachhaltigkeit in der Praxis" von Franz-Josef-Pfreundt und Jennifer Krauß. Herr Pfreundt berichtete von erheblichen Effizienzsteigerungen durch intelligentes und ganzheitliches Software- und Hardwaredesign. Frau Krauß‘ Studien zur Plattform zeigten beispielhaft auf, dass Car-Sharing Angebote mitunter das Mobilitätsverhalten von Nutzer*innen zusätzlich anregen und somit zu zusätzlichem Ressourcenverbrauch führen können. Dieser "Rebound-Effekt" verdeutlicht, dass Forschung und Wissenschaft nie im luftleeren Raum geschehen und stellt die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft.
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Beispiele aus der Agrar- und Forstwissenschaft wurden im Workshop zur "Digitalisierung in den Umweltwissenschaften" von Peter Liggesmeyer und Dirk Jaeger vorgestellt. Sie beleuchteten welche Möglichkeiten die Digitalisierung bereits heute bietet. Digitalisierung dürfe dabei stets nur Mittel zum Zweck und nie das eigentlich Ziel sein. Datenschutz und Nutzerfreundlichkeit seien Anforderungen, die jedes digitale System zu erfüllen habe. Zeitgleich ergründeten Jörg Wettlaufer, York Sure-Vetter, Patrick Sahle, Christian Hänger und Klaus Schindel Voraussetzungen und Wege der digitalen Geisteswissenschaften. Für das Ziel einer digitalen Geisteswissenschaft – Daten und Wissen „für alle und für immer“ zu sammeln, zu wahren und bereitzustellen brauche es eine Kultur der Nachhaltigkeit - sowohl auf individueller und institutioneller als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Dabei gehe es nicht darum tatsächlich „alles“ und „für immer“ aufzubewahren, sondern die Infrastruktur zu schaffen, die eine kompetente und nachhaltige Entscheidung über das „Was“ und „Wie“ ermögliche.
Es zeigte sich: Unerlässlich für einen erfolgreichen und nachhaltigen Tanz sind ein solides Parkett, eine ausgefeilte Choreografie, kompetente Tanzlehrer*innen und – last but not least – professionell ausgebildete Tänzer*innen.
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Die Realität und der Raum in welchem Digitalisierung geschieht wurden im Workshop zum "Digital Education Action Plan" aufgespannt. Birgit Eickelmann, Felicitas MacGilchrist, Dan Verständig und Nina Grünberger argumentierten, Digitalisierung und ganzheitliche Bildung seien nur mit einer globalen Sichtweise zu verstehen. Sie plädierten für ein vernetztes und ganzheitliches Denken.
Zur selben Zeit zeigten Michael Ortgiese und Michael Patscheke im Workshop „Digitalisierung für nachhaltige Mobilität“, wie Digitalisierung den Weg zu einer Verkehrswende ebnen kann. Umfangreiche Verkehrssimulationen, nutzerorientiertes Denken und smarte Ridepooling Systeme zeigten bereits in der Gegenwart Erfolge. Um Individualverkehr nachhaltig zu reduzieren und gleichzeitig eine Daseinsvorsorge zu gewährleisten, müssten diese Werkzeuge, so das Fazit des Workshops, stärker ausgebaut und bekannter gemacht werden.
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Der Workshop zu „Digitalisierung und Arbeitswelt“ rückte die Konferenzthemen noch näher an die gegenwärtige Lebensrealität aller Teilnehmenden. Gegenstand der soziologischen Arbeitsforschung waren hier unter anderem das Home-Office in der Pandemie und Arbeitnehmerperspektiven auf den digitalen Wandel der Arbeitswelt. Karin Kurz, Florian Butollo und Martin Kuhlmann eröffneten einen kritischen Blick auf die Vernetzung von Maschinen, Menschen, Produkten und Dingen, sowie auf die Automatisierung und Überwachung von Arbeitsprozessen. Eine Erkenntnis des Panels: Im digitalen Strukturwandel der Arbeit gibt es entgegen populärwissenschaftlicher Darstellungen keine klassischen Gewinner und Verlierer. Dennoch glätte die Digitalisierung auch nicht alle bestehenden Konfliktlinien.
Parallel dazu wurde im Workshop "Machine Learning und KI" von Alexander von Gernler und Stefan Ullrich erneut die Komplexität des Opernballs „Digitaler Strukturwandel“ transparent gemacht. Die Zusammenhänge zwischen multinationalen Konzerninteressen, nationalen Regierungen, Bürgerinteressen zu Datenschutz und den Risiken eines digitalen Kolonialismus auch innerhalb von Gesellschaften wurden diskutiert. Nachdenklich machte die Aussage, dass Fragen von "Haftung" und "Verantwortung" in der Zunft der Informatiker*innen, also der Protagonist*innen der Digitalisierung, keine wirklich Rolle spielten.
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Ein Beispiel für die Chancen der Digitalisierung lieferte abschließend das letzte Panel der Konferenz „Digitalität, Gesellschaft, Geschichte – Through the Darkest of Times“, bei welchem der Videospiel-Entwickler Jörg Friedrich zeigte, wie man mit populären digitalen Instrumenten auf destruktive Prozesse der Digitalisierung reagieren kann. Die Entwicklung des Videospiels „Through the Darkest of Times“, in dem der Spieler in die Rolle ziviler Widerstandskämpferinnen und Kämpfer in der NS-Zeit schlüpft, entstand als Reaktion auf reaktionäre, frauenfeindliche und teils antisemitische Adaptionen der Gaming-Kultur im Internet. Darüber hinaus biete „Through the Darkest of Times“ eine historisch informierte Möglichkeit, Wissen über den Nationalsozialismus und den zivilen Widerstand zu erwerben und schule, so Barbara Christophe, die Vorsichtigkeit gegenüber einfachen Antworten.
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der "Opernball der Digitalisierung" wohl nur ein nachhaltiger Erfolg werden wird, wenn alle "Tänzer*innen" auf dem Parkett mit dem Anspruch tanzen, den Ball an sich erfolgreich zu machen. Für eine nachhaltige Entwicklung gilt es bereits jetzt zu fragen: Wer ist eingeladen zum Opernball des digitalen Strukturwandels? Wer darf mittanzen und wer nur zusehen? Wer gibt den Takt vor? Wer erhält durch bessere Ausstattung einen Vorteil, wenn die Tanzschritte komplizierter werden?
Dies erfordert – mit dem Gesamtbild im Hinterkopf – auch verantwortungsvolle "Tanzschritte", sowohl von mündigen Bürger*innen als auch von Entscheidungsträger*innen in Wirtschaft und Politik. Auf diesem Wege kann Digitalisierung nachhaltig und Nachhaltigkeit als Voraussetzung zur Lösung der Klimakrise durch Digitalisierung ermöglicht werden.
Die Präsentationen der nachfolgend aufgeführten Vorträge stellen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Bei Interesse senden Sie bitte eine E-Mail an carina.thor@zvw.uni-goettingen.de
Workshop - Block I
B. Wirtschaftlicher Strukturwandel in der vierten, industriellen Produktion - Regionalisierung statt Globalisierung?
Moderation
Frank Schmiedchen, Mitglied im Beirat der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler VDW e.V.; Leiter der Studiengruppe TA Digitalisierung der VDW
Impulse
Prof. Dr. Steffen Kinkel, Institut für Lernen und Innovation in Netzwerken, Hochschule Karlsruhe – Technik und Wirtschaft
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Dr. Rainer Engels, Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, Leiter des Sektorvorhabens Nachhaltiges Wirtschaften
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Workshops - Block II C. Nachhaltige Digitale (Geistes)Wissenschaft
Moderation
Dr. Jörg Wettlaufer, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen
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Impulse
Prof. Dr. York Sure-Vetter, Direktor Nationale Forschungsdaten Infrastruktur (NFDI) / Karlsruher Institut für Technologie
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Dr. Christian Hänger, Bundesarchiv
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Dr. Klaus Schindel, Bundesministerium für Bildung und Forschung
Prof. Dr. Patrick Sahle, Bergische Universität Wuppertal
Moderation
Dr. Dominik Seidel, Universität Göttingen
Impulse
Prof. Dr. Dirk Jaeger, Forstliche Arbeitswissenschaft und Verfahrenstechnologie, Universität Göttingen
Prof. Dr. Peter Liggesmeyer, Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE), COGNAC lighthouse project
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Workshops - Block IV G. Digitalisierung und Arbeitswelt
Moderation
Prof. Dr. Karin Kurz, Universität Göttingen
Impulse
Dr. Florian Butollo, Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft / Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) / Universität Göttingen
Dr. Martin Kuhlmann, Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e. V. an der Georg-August-Universität
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Contact:
Georg-August-Universität Göttingen
Öffentlichkeitsarbeit
Benjamin Bühring & Giannina Scalabrino
Wilhelmsplatz 1
37073 Göttingen
Tel.: 0551 39-23794
benjamin.buehring@zvw.uni-goettingen.de