Inklusion und Diversität aus der Perspektive der Religionspädagogik


Wabe Religion

Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Impulsvortrag von Prof. Dr. Bernd Schröder (Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik und Bildungsforschung) und der daran anschließenden Diskussion mit den Teilnehmenden des 4. Netzwerktreffens „Diversität in der Lehrer*innenbildung“ am 17.04.2018.


Protokollantin: Delia Hülsmann

Thematisierung von Inklusion und Diversität

Als zentrale Diversitätsdimension, die in den Veranstaltungen des Studiums Evangelische Religion immer wieder thematisiert und reflektiert wird, kann Religion gelten. So wird religiöse Pluralität sowohl innerhalb der evangelischen Konfession als auch über die konfessionellen und religiösen Grenzen hinaus an mehreren Stellen im Studium fokussiert, reflektiert und erlebt. Dabei kommen mit Bezug auf die Studienmotivation und Voreinstellungen der Studierenden ihre religiöse Verortung und unterschiedlichen Glaubenspraktiken explizit zur Sprache, sodass die Studierenden sich insbesondere religiöser Diversität bewusst werden können. Damit soll den Studierenden Gelegenheit dazu gegeben werden, ihren eigenen Standpunkt in Bezug auf ihren Glauben, ihre eigenen Überzeugungen und religiösen Praktiken zu klären, um aus dieser reflektierten Positionalität heraus evangelischen Religionsunterricht zu gestalten (teaching from within religion). Dazu werden neben der Auseinandersetzung mit religiöser Pluralität innerhalb der eigenen Konfession auch die Begegnung mit Menschen anderer Konfessionen und Religionen und damit Erfahrungen der „Andersheit“ im Studium ermöglicht sowie Diskussionen mit Studierenden unterschiedlicher Überzeugungen aufgrund unterschiedlicher Religions- bzw. Konfessionsangehörigkeit angeregt. „Inklusion“ wird im Studium zunächst im Sinne des Verständnisses der gemeinsamen Beschulung von Menschen mit und ohne Behinderung eingeführt; weiterführend werden die „Zehn Grundsätze für inklusiven Religionsunterricht“ des Comenius-Instituts (2014), in denen Behinderung als eine von unterschiedlichen zentralen Differenzkategorien für den Religionsunterricht verstanden wird, als Reflexionsbasis zur Unterrichtsplanung von unterschiedlichen Themen und Inhalten genutzt. Das schließt jedoch die Befassung mit anderen Diversitätsdimensionen wie Gender usw. nicht aus.

Curriculare Verankerung von Inklusion und Diversität
Inklusion im engeren Sinne als Beschulung von Menschen mit und ohne Behinderung wird in der Religionspädagogik im Bachelor im Einführungsseminar Modul B.EvRel.208a/b: „Religionspädagogik und -didaktik“ durch eine Übung thematisiert. Im Masterseminar zur Religionsdidaktik (Modul M.EvRel.202: „Schlüsselthemen des Religionsunterrichts in interdisziplinärer Reflexion“) wird mit den „Zehn Grundsätze[n] für inklusiven Religionsunterricht“ des Comenius-Instituts (2014) Inklusion als Grundlage zur Unterrichtsplanung reflektiert. Diversität mit dem Schwerpunkt auf religiöser Pluralität wird zunächst in der genannten Bachelorveranstaltung in Bezug auf die eigenen Einstellungen und Praktiken reflektiert. Im Masterstudium wird die Begegnung mit Menschen anderer Konfessionen durch die Kooperation mit der Didaktik der katholischen Religion an der Universität Paderborn im Rahmen des Masterseminars „Evangelische Religion im Gespräch mit anderen Konfessionen und Religionen“ ermöglicht. Zum Umgang mit religiöser Pluralität über die eigene Konfession, aber auch Religion hinaus wird von der Theologischen Fakultät für alle Studierende der Universität Göttingen die Zusatzqualifikation „Ecumenical and Interreligious Encounters in Non-Homogeneous Environments (EIRENE)“ in Kooperation mit dem Studiengang Intercultural Theology angeboten. Schließlich werden die Studierenden der Evangelischen Religion zu Vorträgen von Vertreter*innen aller monotheistischen Religionen eingeladen.

Diskussionspunkte und offene Fragen

  • Positionalität von Studierenden

    Im Studienfach Religion werden die Studierenden zur Reflexion der Diversität unter ihnen angeleitet und sollen sich ihrer eigenen Einstellungen, Motivation und Praktiken bewusst werden. So werden zu Studienbeginn explizit die unterschiedlichen Vorannahmen der Studierenden zu Zielen und Inhalten des Religionsunterrichts thematisiert und auf das fachkulturelle Selbstverständnis der Hochschullehre hin abgeglichen. Reflektierte Positionalität gilt dabei als ein Kompetenzziel im Studium. Es schließt sich die Frage an, inwiefern die Übereinkunft eigener Einstellungen und der zu vertretenden Position, die in diesem Fall aus der Konfession begründet ist, zu einer persönlich verantwortbaren Position werden kann, aus der heraus Unterricht gestaltet wird.


  • Exemplarische Thematisierung einer Diversitätsdimension im Studium

    Der Fokus im Studium der Evangelischen Religion liegt auf der religiösen Pluralität im Klassenzimmer. Am Beispiel dieser zentralen Thematisierung der Diversitätsdimension religiöser Pluralität kann die Frage gestellt werden, inwiefern eine solche exemplarische Behandlung für die Studierenden auf den Umgang mit anderen Diversitätsdimensionen zu übertragen ist. Diskussionen zum Umgang mit religiöser Pluralität am Beispiel der Religionsfreiheit (z. B. Sollte das Tragen eines Kopftuchs in der Schule erlaubt sein?) könnten eine Initiation zu Lernprozessen auf Seiten der Studierenden sein, auch den Umgang mit anderen Diversitätskategorien und möglichen Reibungspunkten, z. B. in Bezug auf Sexualität, reflektieren zu können. Um den Wissenstransfer der Studierenden im Umgang mit religiöser Pluralität zu anderen Diversitätsdimensionen, die an anderen Stellen im Studium besprochen werden, unterstützen zu können, könnte es ein Weg sein, in der Lehre der unterschiedlichen Fachdidaktiken und der Erziehungswissenschaft einen expliziten Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Diversitätsdimensionen herzustellen. Dafür könnte das exemplarische Lernen sowohl den Studierenden als auch zwischen den Disziplinen stärker kommuniziert werden.


  • Thematisierung religiöser Pluralität im Lehramtsstudium

    Es wird die Überlegung geäußert, auch in der Ausbildung von Lehramtsstudierenden nicht-religiöser Fächer der Auseinandersetzung mit der Diversitätsdimension Religion Raum zu geben, um Studierende für religiöse Pluralität zu sensibilisieren und für den Umgang mit Situationen in der Schule vorzubereiten, in denen religiös motivierte Konflikte eine Rolle spielen.


  • Umgang mit religiöser Pluralität

    In der Struktur des Religionsunterrichts in der deutschen Schullandschaft zeigen sich unterschiedliche Umgangsweisen mit der Diversität der Schüler*innen in Bezug auf die Dimension der Religion. So gibt es unterschiedliche Formen des Angebots religiösen bzw. ethischen Unterricht. In Niedersachsen wird Religionsunterricht grundsätzlich gemäß Art. 7.3 des Grundgesetzes erteilt, also – verkürzt gesprochen – konfessionsgebunden.; seit 1998 schließt dies Religionsunterricht in konfessioneller Kooperation ein. Daher wird auch im Studium konfessionsgebundener Unterricht fokussiert. Teilweise findet Religionsunterricht aber auch in Niedersachsen im Klassenverband statt, so dass konfessionelle, aber auch religiöse Pluralität Realität im evangelischen Religionsunterricht ist. So stellt sich die Herausforderung für den Unterricht, die Diversität der Schüler*innen bei der Auswahl von Lerngegenständen mitzudenken, um Gespräche und Teilhabe für alle zu ermöglichen. Aus nicht-deutschen Kontexten (z. B. England), aber auch basierend auf Unterrichtserfahrungen in Deutschland (Hamburg, Rhein-Ruhr-Region, Rhein-Main-Region) liegen durchaus didaktische Modelle für interreligiösen Unterricht vor. Daran schließt sich die Frage an, wie Studierende zur Handlungsfähigkeit in so unterschiedlichen Unterrichtssettings befähigt werden können.


  • Sprachliche Diversität im Religionsunterricht

    Sprachliche Diversität wird im Studium der Evangelischen Religion anhand der Unterschiedlichkeit der Sprachformen religiösen Redens (z. B. Beten) und Reden über Religion (z. B. in Reflexionen) thematisiert. Es kann die Frage gestellt werden, wie an dieser Stelle die Verknüpfung zur sprachlichen Diversität von Schüler*innen als Voraussetzung gezogen werden kann.