Produktion / Autorschaft
Der Computer hat die literarische Medienökologie neu bestimmt; das gilt auch für eine Literatur, die sich als Buch-Literatur von solchen Entwicklungen eigentlich fern glaubt oder sogar explizite Gegenpositionen bezieht. Digitalisierung betrifft damit grundlegende Praktiken und Begrifflichkeiten dessen, was wir Literatur nennen. Der Begriff der Autorschaft etwa wird in netzwerkartigen Kommunikationen zunehmend in Frage gestellt. Der klassischen Unterscheidung von Produktion und Rezeption stehen nun Begrifflichkeiten einer kollaborativen Schreibpraxis mit Rollen-Simultanität gegenüber, etwa mit dem Konzept des ‚produsers‘ oder ‚Prosumenten‘, in dem Produzenten und Nutzer zu einer Instanz verschmelzen, oder im Begriff des ‚wreader‘, der zugleich schreibender Leser und lesender Schreiber ist. Auch wenn sich viele der enthusiastischen Erwartungen an solche und ähnliche Modelle der Autorschaft seit Ende der 1990er Jahre nicht erfüllt haben, verunsichern neue mediale Entwicklungen und die kulturkritischen Debatten, die sich daran anschließen, etablierte Beschreibungen literarischen Handelns. Mindestens drei Bereiche, in denen Dissertationsprojekte angesiedelt sein könnten, seien hier genannt.
1. Weiter zu erforschen ist die digitale Literatur, sind ihre Erscheinungsformen und ihre Ästhetik, sind die Möglichkeiten ihrer Analyse, Deutung und Wertung, nicht zuletzt auch ihrer Kanonisierung. Arbeiten zur Transformation von Autorschaftskonzepten sind von Interesse, Studien zur digitalen Selbstinszenierung einzelner Akteure oder Communities, auch in Interaktion mit dem traditionellen Literaturbetrieb, oder zur Entwicklung neuer Direktvermarktungswege, wie sie in der Musikszene längst schon Eingang gefunden haben.
2. Lohnenswert sind Untersuchungen zu digital adaptierten Genres, etwa zur neuen Form des Handy-Romans und seiner Strukturproblematik des Schreibens in kleinen Kapiteln, zum E-Mail-Roman und zur Twitter-Lyrik. Weitere noch wenig behandelte Forschungsbereiche sind Blogs und die Frage, wie dieses Format sich von prädigitalen Formen diarischer Selbstinszenierung unterscheidet, zudem die neue Selbsthistorisierung der Buchliteratur in experimentellen und bibliophilen Formaten, die die Erzählmöglichkeiten des gedruckten Buches ausloten.
3. Die Digitalisierung hat unter anderem die Buchproduktion nachhaltig verändert. Zu klären ist, welche wirtschaftlichen und ästhetischen Folgen sich daraus für die Literatur ergeben. Setzt sich z.B. die zunehmende Konzentration der Verlage auf wenige ‚Spitzentitel‘ fort, könnte dies dazu führen, dass die schwer verkäufliche ‚Hochliteratur‘ weiter unter Druck geriete und zunehmend auf Marketinginstrumente wie das Selfpublishing angewiesen wäre. Sinkende Auflagenhöhen könnten anspruchsvolle literarische Texte aus den Programmen großer Verlagshäuser drängen, wovon dann wiederum kleinere, konzernunabhängige Verlage profitierten, für die auch geringere Auflagen wirtschaftlich rentabel sind. Zu untersuchen ist auch der Trend zum ‚Weltbestseller‘, der sich als Folge der Konzentration auf dem internationalen Buchmarkt abzeichnet und der Nivellierung ästhetisch-kultureller Eigenheiten Vorschub leistet. Weitere wichtige Themen möglicher Projekte sind E-Books, Open Access und die Wandlung des Berufsbildes ‚Lektor‘ zum Produktmanager.