Kunstwerk des Monats im Dezember 2019
01. Dezember 2019
»Ein ungewöhnlicher Mensch steht vor euch!« - Max Klingers Selbstbildnis
Vorgestellt von: Rieke Dobslaw
Das Selbstbildnis Klingers entstand zwei Jahre vor seinem Tod und steht damit am Ende einer lebenslangen Beschäftigung des Künstlers mit dem eigenen Konterfei. Es zeigt ihn im Dreiviertelporträt mit seinen markanten Gesichtszügen, die Franz Servaes treffend beschreibt: Wenn er euch hoch entgegenkommt – das rote Haar, gleich der Flamme des heiligen Geistes, über der Stirn brennend – scharfe Augen hinter großen Brillengläsern – der Mund geschlossen, mit faltigen Zügen des Kummers und des Nachdenkens – breitschultrig, stiernackig, vollbrüstig – und euch schweigsam willkommen heisst – zurückhaltend-höflich – – dann wisst ihr so, gleich: ein ungewöhnlicher Mensch steht vor euch!“
Klinger fokussiert sich hier auf seine Physiognomie, indem er die Darstellung aus der Umgebung isoliert. Der mit Bleistift gezeichnete Kopf hebt sich vom mit weißer Kreide schattierten Hintergrund ab und wird von einem einfachen Rechteck gerahmt. Die von der Umgebung isolierte Porträt nimmt in der Reihe seiner zahlreichen Selbstbildnisse eine Sonderstellung ein. Vor allem in seine früheren Werke, insbesondere in die graphischen Zyklen, integrierte er Darstellungen seiner selbst und thematisierte darin seine Ängste, Wünsche und Zweifel in „der Welt unvereinbarer Kräfte“, aber auch seine Tätigkeit als Künstler. Dabei nutzte er mit Vorliebe das Medium der Graphik, deren Rolle er 1891 in der Schrift Malerei und Zeichnung definierte: Während die Malerei das Harmonische, Schöne, Vollständige darstelle, sei die „Griffelkunst“ die geeignete Technik, um die problematischen Seiten des Lebens aufzuzeigen, „die Schwächen, das Scharfe, Harte, Schlechte“. Während seine früheren Selbstporträts als Zeugnisse „innerer Selbstbefragung“ gesehen werden können, geht es bei späteren Bildnissen wie der Göttinger Zeichnung eher um die Wiedergabe der äußeren Erscheinung.