Kolonialen Konsum ausstellen? Die Musealisierung ehemaliger Kolonialwarenläden seit den 1970er Jahren

Die Debatten der letzten zwei Jahrzehnte haben in vielen europäischen Ländern die eigene Kolonialvergangenheit ins Gedächtnis gerufen und auf die politische Tagesordnung gesetzt. In Deutschland sind dabei vor allem die Jahrestage des Völkermordes an den Herero und Nama zu nennen. Auch setzen sich in vielen Städten Bürger:innen und Initiativen mit Straßennamen auseinander und tragen damit zu einer Dekolonisierung des öffentlichen Raumes bei. Die Diskussion um die Provenienz ethnologischer Sammlungen hat dabei auch das Museum in den Fokus gerückt und Fragen nach post-kolonialen Kontinuitäten von musealen Räumen öffentlichkeitswirksam gestellt. Ausgehend von dieser Problematisierung ethnologischer Sammlungen werden nun zunehmend auch weitere Museumstypen und Sammlungen stadtgeschichtlicher, naturkundlicher und industriegeschichtlicher Art – um nur einige zu nennen – erforscht. Bisher erst in Ansätzen untersucht sind die vielfältigen Spuren der Kolonialvergangenheit in der (deutschen) Alltagskultur und ihr Niederschlag in Sammlungen und Ausstellungen.

Das Promotionsprojekt setzt hier an und widmet sich diesem Forschungsdesiderat am Fallbeispiel musealisierter Kolonialwarenläden. Meist im Laufe des 19. Jahrhunderts im öffentlichen Raum gegründet, gehörten sie zu einer rasant wachsenden Zahl an Einzelhandelsgeschäften, die zu immer erschwinglicheren Preisen auch Waren aus Übersee wie Zucker, Kaffee und Schokolade verkauften, deren Rohstoffe vor allem aus europäischen Kolonien stammten. Besonders für die zweite Hälfte des 19. Jahrhundert kann man von einer wahren Blüte dieser Läden sprechen, die immer mehr Deutschen diesen Konsum ermöglichte. Das 20. Jahrhundert bedeutete für viele dieser Läden früher oder später das Aus. Größter Faktor dafür war die Entwicklung des Einzelhandels hin zur Selbstbedienung und zum Supermarkt vor allem in den 1970er Jahren. Mit dem Schwinden der Läden im Stadtraum setzte ihre Musealisierung ein. In Ausstellungen füllten die Läden meist einen ganzen Raum aus und erweckten die Illusion, man würde den Laden im Originalzustand betreten. Die Läden erinnern dabei vor allem an ein vergangenes Einkaufserlebnis und schufen damit zuweilen nostalgische Rezeptionsmöglichkeiten. Das Wort Kolonialwarenladen war in vielen Präsentationen zwar titelgebend, wurde aber nur selten eingehender thematisiert.

Das Projekt analysiert die Geschichte der Läden im Stadtraum, ihren Transfer ins Museum und ihre Ausstellungsweisen. Die oft bis heute zu sehenden Ausstellungen möglichst originalgetreu ausgestellter Läden sind nicht nur weiterhin populär, sondern werden seit einigen Jahren auch vermehrt kritisiert. Aktivist:innen, postkoloniale Initiativen, künstlerische Interventionen und neu gestaltete Sonder- und Dauerausstellungen üben Kritik: Läden werden als kolonialgeschichtliche Exponate ausgestellt, rassistische Warenwerbung wird mit Sichtschutz versehen oder die nostalgische Wirkung des Raumes problematisiert. Die Analyse dieses seit einigen Jahren einsetzenden Umdenkens bildet den Fluchtpunkt des Projektes.


Betreuung: Bis 12/2023 Prof. Dr. Rebekka Habermas (†), Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, seit 02/2024 Prof Dr. Margarete Vöhringer, Kunstgeschichtliches Seminar, Georg-August-Universität Göttingen
Prof. Dr. Anja Laukötter, Seminar für Volkskunde/Kulturgeschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena
Prof. Dr. Daniela Döring, Forschungskolleg "Wissen | Ausstellen", Georg-August-Universität Göttingen

Praxispartner: Research Center for Material Culture, Leiden (Niederlande)