Kunstwerk des Monats im Juli 2017


02. Juli 2017
Federico Baroccis "Grablegung Christi" und ihre flämische Kopie in Göttingen
Vorgestellt von: Prof. Dr. Thomas Noll

BarocciVermutlich ein flämischer, zumindest ein nordalpiner Künstler fertigte um 1600 die in der Kunstsammlung der Universität Göttingen bewahrte kleinformatige und auf Kupfer gemalte Kopie der ‚Grablegung Christi‘ an, die Federico Barocci (1535-1612) in den Jahren 1579-1582 im Auftrag der Confraternità del Santissimo Sacramento e Croce für den Hauptaltar von deren Kirche, der Chiesa della Croce in Senigallia (rund 50 km östlich von Urbino), schuf. Zu sehen ist, wie Johannes, Josef von Arimathäa und Nikodemus den toten Christus nach der Kreuzabnahme augenscheinlich einen gewundenen Weg von der in der Ferne aufragenden Schädelstätte, Golgota, hinunter getragen haben und eben im Begriff sind, den Toten in dem seitlich sich öffnenden Felsengrab zu bestatten.
Maria und ihre beiden legendarischen Halbschwestern stehen klagend links hinter dieser Gruppe, im Vordergrund rechts kniet Maria Magdalena anbetend vor ihrem Herrn, neben ihr säubert ein namenloser Helfer den Sarkophag vor der Aufnahme des Leichnams. Auf der Steinplatte links im Vordergrund, die das Grab verschließen wird, liegen mehrere Leidenswerkzeuge Christi; Hammer und Zange verweisen dabei auf die Kreuzabnahme, das silberne Gefäß und das weiße Tuch deuten auf die bereits erfolgte Salbung des Toten hin. Die hinter Nikodemus sichtbare Turmfront – tatsächlich die Fassade des Palazzo ducale in Urbino – und die daneben erkennbaren Häuser meinen die Stadt Jerusalem.

Barocci bietet nicht nur eine überaus luzide und umfassende Narration, die das voraufgehende und das nachfolgende Geschehen und damit den Handlungsverlauf deutlich zu erkennen gibt, sondern bezeugt auch ein Bemühen um historische Genauigkeit; so geschieht die Grablegung richtig zur Abendstunde (Mt 27, 57; Mk 15, 42), und die Schilderung des Grabes in den Evangelien nach Matthäus (27, 60) und Markus (15, 46) ist mit dem von Johannes (19, 41) genannten Garten, in dem das Grab sich befunden habe, verknüpft. Darüber hinaus berücksichtigt Barocci die Funktion des Werkes als Altarbild einer ‚Bruderschaft des hochheiligen [Altar-] Sakraments und Kreuzes‘.

Denn der in einem Leinentuch getragene Christus, der genau im Zentrum der Darstellung erscheint und hell ins Licht gerückt ist, ja fast selbst zu leuchten scheint, bedeutet zugleich eine Präsentation des Corpus Domini, des Fronleichnam, der seine unmittelbare Entsprechung im Messopfer bzw. in der in einer Monstranz ausgesetzten Hostie hat. Ein ständiger fester Zusammenhang besteht überdies zwischen dem Altarbild und dem unterhalb davon auf dem Altar aufgestellten Tabernakel. Als Identifikationsfigur für den Frommen dient Maria Magdalena, die anbetend vor Christus kniet; der Betrachter findet sich aufgefordert, es ihr gleich zu tun durch die Hinwendung zu Christus und durch die Verehrung der Eucharistie, in der Christus (nach der Transsubstantiationslehre) leibhaftig und real präsent ist. Baroccis Werk erfüllt mit alledem vollkommen die Aufgaben eines religiösen Historienbilds, wie sie in der Zeit der Gegenreformation definiert wurden.

In seiner Vita des Künstlers berichtet Giovanni Pietro Bellori 1672, dass Baroccis ‚Grablegung Christi‘ aufgrund ihrer Schönheit fortwährend kopiert worden sei, was Gemälde und graphische Darstellungen gleichermaßen betrifft. Das Göttinger Bild (aus der Sammlung Zschorn) ist, wie die farblichen Unterschiede gegenüber dem Original zeigen, offensichtlich ohne dessen Kenntnis nach einer graphischen Reproduktion – mutmaßlich nach einem (seitenrichtigen) Kupferstich (um 1595-1597) von Aegidius Sadeler – kopiert worden. Der Bildträger, das Kolorit, die detailnaturalistische Wiedergabe etwa der Palastfassade, aber auch das üppige Laubwerk der Bäume – das nicht lediglich dem hochrechteckigen Format geschuldet ist, bei dem der halbrunde Abschluss des Originals ‚aufzufüllen‘ war – deuten darauf hin, dass der unbekannte Kopist aus den (südlichen) Niederlanden stammte.