Kunstwerk des Monats im November 2007
04. November 2007
"Mädchen mit Kind am Birkenstamm" von Paula Modersohn-Becker, 1902
Vorgestellt von: Rudolf Krüger, M.A.
Am 20. November jährt sich zum hundertsten Mal der Todestag von Paula Modersohn-Becker (1876-1907), der bedeutendsten deutschen Malerin des 20. Jahrhunderts. Noch nie war die Beschäftigung mit dieser Künstlerin so intensiv wie im "Paula-Jahr 2007": gleich vier Ausstellungen in Bremen, Hannover und Worpswede sowie mehrere neue Biographien sind ihr gewidmet. Aus diesem Anlass präsentiert die Kunstsammlung der Universität Göttingen Modersohn-Beckers Gemälde """Mädchen mit Kind am Birkenstamm""" von 1902. Modersohn-Beckers früher Tod mit nur 31 Jahren, ihre Zugehörigkeit zur Worpsweder Künstlerkolonie, ihre unkonventionelle Ehe mit dem Maler Otto Modersohn und vor allem ihr Behauptungswille in einer von Männern dominierten Kunstwelt haben zu ihrer heutigen Popularität beigetragen. Lange Zeit wurde aber ihr eigentliches Verdienst, ihre erstaunliche Modernität, nicht gebührend gewürdigt. Angeregt durch vier Pariser Aufenthalte, komprimierte sie ihre in der Natur beobachteten Eindrücke zur künstlerisch vereinfachten Form.
Das Göttinger Gemälde zeigt ein zentrales Thema von Modersohn-Beckers Kunst, nämlich die enge Zusammengehörigkeit von Mensch und Natur. Nachdem die Malerin in ihren frühen Landschaften meistens auf figürliche Staffage verzichtet hatte, werden um das Jahr 1902 Figuren und Landschaftsraum immer stärker miteinander verknüpft. Dabei zeigt unser Bild ein kleines zusammen mit einem älteren Mädchen (Schwester oder Mutter") in einem stummen Nebeneinander vor der norddeutschen Moorlandschaft von Worpswede. Modersohn-Becker, die wie alle Worpsweder Maler im Freien malte, schildert die karge Landschaft in dunklen, schweren Erdtönen. Beide Gestalten werden durch ein Minimum an anatomischer Einzelform charakterisiert, wodurch die Malerin jene große Einfachheit erzielt, die ihr künstlerisches Anliegen war. Ein Jahr vor der Entstehung dieses Gemäldes hatte die in Dresden geborene und in Bremen aufgewachsene Paula Becker den Worpsweder Maler Otto Modersohn geheiratet. Es begann eine Zeit des privaten Glücks und enger künstlerischer Gemeinsamkeit des Paares. Häufig malten beide in der Natur vor demselben Motiv. Doch schon im darauffolgenden Frühjahr setzte bei Paula eine Ernüchterung ein und sie schrieb im März 1902 in ihr Tagebuch: """Ich lebe im letzten Sinne wohl ebenso einsam als in meiner Kindheit.""" Diese Einsamkeit spürte Modersohn-Becker wohl auch bei den Worpsweder Bauernkindern. Ihre Modelle, die sie häufig im Waisenhaus fand, erscheinen auf den Bildern melancholisch und verschlossen, reglos verharrend mit abgewandtem Blick. Am Schicksal dieser Kinder, die, obwohl selbst noch hilfsbedürftig, sich schon um die jüngeren Geschwister kümmern mussten, nahm die Malerin großen Anteil.