Kunstwerk des Monats im August 2010
01. August 2010
"Liebermanns holländische Sommer!"
Vorgestellt von: Rudolf Krüger
Die Göttinger Universitäts-Kunstsammlung verwahrt eine Lithographie aus dem Jahre 1910, auf der sich Max Liebermann, der Hauptvertreter des deutschen Impressionismus, selbst dargestellt hat: Der 63jährige Künstler steht monumental im Vordergrund einer flachen Küstenlandschaft und hält die Utensilien seines Metiers, Skizzenblock und Zeichenstift, in den Händen. Seine Aufmerksamkeit gilt möglicherweise der Kuhherde, die man im fernen Hintergrund erkennt. Die mit hellem Jackett und Panama-Hut elegant gekleidete Profilgestalt des Künstlers wendet sich ein wenig in das Bild und vom Betrachter weg, wodurch sie unnahbar wirkt. Der tief in die Stirn gedrückte helle Strohhut lässt Hutkrempe und Augen miteinander korrespondieren und steigert dadurch die Intensität des Blickes.
Das Motiv für diese Lithographie fand Liebermann am Strand des holländischen Seebades Noordwijk in der Nähe von Den Haag. Er selber zählte zu den Stammgästen des damals bekannten Erholungsortes. Über vierzig Jahre lang, von 1871 bis 1913, bereiste er dieses Land fast jedes Jahr. Die Sommeraufenthalte dauerten stets mehrere Wochen, manchmal sogar Monate. Auch seine Hochzeitsreise hatte ihn hierher geführt.
Das beschauliche Holland war nicht nur Liebermanns Wahlheimat, sondern auch der Hauptgegenstand seiner Kunst vor dem Ersten Weltkrieg, obwohl der Künstler in der quirligen Metropole Berlin lebte. Diesen Umstand kommentierte der Kunsthistoriker Max J. Friedländer mit den Worten, Liebermann lebe als Bürger in Berlin, als Maler in Holland. Neben der alten holländischen Malerei (Liebermann verehrte Rembrandt und Frans Hals) war es die Faszination für die Weite der flachen Landschaft mit dem unverstellten Blick auf den Horizont, die den Maler immer wieder anzog. Die typisch holländische Atmosphäre mit Wind, Wasser und Licht wollte er in seinen Bildern einfangen.
Bis in die 1890er Jahre hinein malte Liebermann die holländische Bevölkerung bei der Arbeit auf dem Felde, dem Markt oder in der Spinnerei. Diese Szenen des einfachen, alltäglichen Lebens, gemalt im Stil des Naturalismus, wurden kurz vor der Jahrhundertwende durch Szenen des Strand- und Badelebens in den mondänen Seebädern Zandvoort, Scheveningen und Noordwijk ersetzt. Es ist eine Welt voller Muße. Zum Malen oder Zeichnen gesellte sich Liebermann zu den fremden Badegästen und vollendete die Bilder unmittelbar in der Natur. Immer mehr verlegte sich der Künstler auf die Wiedergabe von Bewegung, wählte als Motive badende Jungen, Reiter oder Tennisspieler. Parallel zu der Entdeckung der bürgerlichen Freizeitwelt vollzog Liebermann seine Wendung zum Impressionismus.
Die alljährlichen Reisen nahmen ein abruptes Ende. Der Kriegsausbruch 1914 verhinderte Liebermanns Reise nach Holland, zu der bereits alle Vorbereitungen getroffen waren; er sollte Holland bis zu seinem Tod 1935 nicht wiedersehen. In der nun beginnenden Phase eines zunehmenden Rückzugs vom öffentlichen Leben bot ihm der Garten seiner genau vor hundert Jahren (26. Juli 1910) bezogenen Villa am Wannsee vielfältige neue Anregungen.