Mittel- und neulateinische Texte für die Schule!
Die Diskussion um den Nutzen und die Notwendigkeit des Lateinunterrichts ist nicht neu. Diverse Publikationen der letzten Jahrzehnte belegen dies eindrücklich. Lateinunterricht soll Anknüpfungspunkte für verantwortliches Handeln liefern, andererseits aber auch das Entstehen unserer Gesellschaft und Werte nachzeichnen. Bezugspunkt ist im Lateinunterricht zumeist die antike Literatur und Kultur.
Relativ wenig Beachtung findet oft jedoch in der unterrichtlichen Praxis der Umstand, dass auch nach dem Untergang Westroms Latein als "Vatersprache" Europas bis weit in das 19. Jahrhundert hinein als Sprache der Bildung, Kirche, Wissenschaft, Diplomatie und des internationalen Austauschs fungierte. Auch in Niedersachsen, außerhalb des Raumes des antiken Imperium Romanum, existiert somit eine Vielzahl von Textformen, die das Fortwirken der lateinischen Sprache eindrucksvoll dokumentieren und zudem einen direkten regionalen Bezug für die Schülerinnen und Schüler bieten.
Da die antiken Stätten zumeist weit entfernt sind, bieten daher lateinische Texte des Mittelalters und der Neuzeit, die vor Ort entstanden sind, eine gute Möglichkeit, außerschulische Lernorte in den Unterricht einzubetten.
Initiative Mittel- & Neu-Latein macht Schule
Die Initiative Mittel- & Neu-Latein macht Schule (MNL-macht-Schule) ist ein von der Abteilung für Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit im Zentrum für Mittelalter- und Frühneuzeitforschung (ZMF) der Georg-August-Universität Göttingen initiiertes und von der Neulateinischen Gesellschaft (DNG) unterstütztes Gemeinschaftsprojekt mit dem Ziel, die Einbindung von mittel- und neulateinischen Texten im schulischen Lateinunterricht nachhaltig zu fördern. Alle aktiven und ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mittel- und neulateinischer Einrichtungen wie auch engagierte Lehrkräfte im deutschsprachigen Bereich sind eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen. Die Redaktion und Koordination liegt bei Carolin Giere (ZMF, Göttingen), Clemens Cornelius Brinkmann (Hildesheim) und Dr. Christian Peters (DNG, Münster). Hauptanliegen der Initiative sind die Bereitstellung mittel- und neulateinischer Texte für die unterrichtliche Praxis, die Ausarbeitung didaktischer Konzepte, die Schulung und Weiterbildung der Lehrkräfte in Bezug auf nachantike Latinität sowie die deutlichere und prominentere Implementierung mittel- und neulateinischer Texte in den Kerncurricula.
Workshopangebot von 2017 bis 2020
Die Abteilung für Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit der Georg-August-Universität in Göttingen stellte 2017–2020 ein Veranstaltungsangebot bereit, das Schülerinnen und Schüler mit lateinischer Literatur des Mittelalters und der Neuzeit bekannt machen sollte. Es wurden Workshops an Schulen entweder im Rahmen des regulären Unterrichts oder im Rahmen eines Projekttages durchgeführt. Hierbei konnten die Schülerinnen und Schüler an didaktisierten lateinischen Texten aus dem Mittelalter oder der Neuzeit arbeiten, die ihnen das Fortwirken der lateinischen Sprache und Literatur über die Antike hinaus exemplarisch demonstrierten.
Unsere Angebote waren für die Schulen und Lehrkräfte mit keinen finanziellen Aufwendungen verbunden.
Materialien für den Lateinunterricht
Im Zentrum der Arbeit von MNL-macht-Schule steht die Aufbereitung und Bereitstellung von mittel- und neulateinischen Texten für den Lateinunterricht. Anzustreben ist besonders die Auswahl von Texten, die sich relativ problemlos in den Unterricht einbeziehen lassen. Darunter fallen besonders Texte, die das Fortwirken der Antike und antiker Texte oder den Kontrast zu antiken Phänomenen illustrieren, um zu vermitteln, wie sich die Kulturen des Westens unter Bedienung von Formen und Inhalten der lateinischen Antike immer wieder neu erfunden und selbst hervorgebracht haben. Daher sollten weiterhin insbesondere solche Texte ausgewählt werden, die mit der Entstehung eines Europagedankens oder europäischer Kulturen zusammenhängen. Ferner sollte durch eine entsprechende Textauswahl die spezielle Rolle des Lateinischen als zentrale europäische Kommunikationssprache, sei es in der Gelehrtenwelt oder auf dem diplomatischen Parkett, sichtbar werden. Darüber hinaus werden Texte bereitgestellt, die auch heute noch relevante Probleme in Politik, Gesellschaft und Kultur thematisieren und die daher die Lernenden zu einem existenziellen Transfer einladen.
Neben diesen überregionalen Themen sollen auch Texte aus der jeweiligen Region bereitgestellt werden, die Schülerinnen und Schülern die Literaturproduktion vor Ort anschaulich machen können. Zu denken ist hier z. B. an Chroniken, Stadtlobgedichte und Gelegenheitsschrifttum. Idealerweise nehmen sich die jeweiligen teilnehmenden Institute oder die vor Ort tätigen Lehrkräfte ihrer Stadt, ihrem Land oder ihrer Region an. Die Aufbereitung der lokal oder regional gebundenen Fallbeispiele kann und soll dabei modellhaft sein und Lehrkräfte auch andernorts zu eigenen Recherchen und didaktischen Aufbereitungen inspirieren und befähigen.
Die Unterrichtsmaterialien werden ab Herbst 2021 auf der Homepage der Neulateinischen Gesellschaft (DNG) kostenlos bereitgestellt, um Barrieren weitestgehend abzubauen und den Aufwand für die Lehrkräfte gering zu halten.