Inklusion und Diversität aus der Perspektive der Didaktik der Deutschen Sprache und Literatu


Wabe Deutsch

Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Impulsvortrag von Prof. Dr. Christoph Bräuer (Professor für Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur) und der daran anschließenden Diskussion mit den Teilnehmenden des 10. Netzwerktreffens „Diversität in der Lehrer*innenbildung“ am 18.12.2018.


Protokollant: Marian Laubner

Thematisierung von Inklusion und Diversität

Im Folgenden werden zuerst speziell zum Thema diversitätssensible Sprachbildung entwickelte Seminarbausteine am Beispiel des Faches Deutsch dargestellt. Im Anschluss daran werden weitere Anlässe zur Thematisierung von Diversität und generelle Überlegungen zu einer inklusiven Deutschdidaktik vorgestellt.
Inklusion und Diversität wird in den Veranstaltungen der Fachdidaktik Deutsch sowohl in Bezug auf die Gestaltung von Unterricht als auch in Bezug auf die Lerngegenstände thematisch.
Im Bereich der Sprachdidaktik werden beide Aspekte insbesondere in der Auseinandersetzung mit Sprachbildung, Bildungssprache und Sprachsensibilität thematisiert. Dazu wurden im SPL-Projekt drei Bausteine insbesondere für den Einsatz in der Fachdidaktik Deutsch im Rahmen der Praktikumsvor- und -nachbereitung entwickelt:
Ein Baustein fokussiert dabei das Konstrukt Bildungssprache in ihren Merkmalen und Leistungen. Dabei wird das Ziel verfolgt, die Besonderheit und Leistung des bildungssprachlichen Registers als spezifische sprachliche Ausdrucksweise in schulischen und akademischen Kontexten zu erkennen und zu reflektieren. So sollen sich die Studierenden u. a. anhand ihrer Erfahrungen im Seminar der eigenen Sprachverwendung bewusst werden und die damit verbundenen Anforderungen wahrnehmen.
Im Anschluss daran kann der zweite Baustein zum Umgang mit Heterogenität eingesetzt werden, in dem ausgehend von möglichen Herausforderungen der Bildungssprache für Schüler*innen mit sprachlich diversen Voraussetzungen Ansätze entwickelt werden, um allen Schüler*innen sprachliche Teilhabe zu ermöglichen. Dazu werden mögliche Handlungsperspektiven zur Bildung und Förderung bildungssprachlicher Kompetenzen und zum Abbau von Hürden eingeführt, etwa Scaffolding oder Leichte Sprache.
Aufgrund der Erfahrung, dass sprachliche Besonderheiten eher in der Behandlung von Sprache in anderen Fächern wie z. B. Mathematik für die Studierenden erkennbar wurden, wurde ein dritter Baustein entwickelt, der spezifisch die Sprache in Aufgabenstellungen, im Fach Deutsch und darüber hinaus, thematisiert. Dabei wird zu Beginn eine Aufgabenstellung eines Mathematik-Schulbuchs bearbeitet. Darauf aufbauend werden die geforderten Leistungen und die sprachliche Darstellung der Aufgabe auch in Hinblick auf Aufgaben im Fach Deutsch diskutiert.

Im Bereich der Literaturdidaktik werden Inklusion und Diversität schon immer als Themen in Literatur behandelt, exemplarisch im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur, besonders der sogenannten problemorientierten Kinder- und Jugendliteratur wie etwa in Max von der Grüns Kinderbuch „Vorstadtkrokodile“, in dem es um Kinder mit Beeinträchtigung geht; in der Film- und Mediendidaktik werden exemplarisch die beiden Kurzfilme „Spielzeugland“ (Thema: Rassismus, Antisemitismus) und „True“ (Thema: Beeinträchtigung, Blindheit) zur Thematisierung von Diversität und Exklusion in Hochschule und Schule genutzt.
Mit Blick auf die Gestaltung inklusiven Unterricht gerade auch im Bereich des Literaturunterrichts wird aber nicht nur über die Thematisierung nachgedacht, sondern auch über Implikationen für die Gestaltung von Unterricht.
In solchen forschungsorientierten Überlegungen für eine inklusive Deutschdidaktik bildet das Verständnis von Seitz und Pfahl den normativen Ausgangspunkt: „Inklusive Didaktik beruht auf der Grundidee individualisierten Lernens in sozialer Eingebundenheit“ (Seitz/Pfahl 2016, S. 32). Für die Vermittlung einer inklusiven Deutschdidaktik am Standort Göttingen kann dies wie folgt zusammengefasst werden: „Mit einem inklusiven Unterricht kommen (...) Fragen der professionellen Kompetenz der Lehrenden, der Diversität der Lernenden, der Balance zwischen Homogenität und Heterogenität in der Lerngruppe bzw. Institution und der damit verbundenen Fachlichkeit der Lerngegenstände in den Blick“ (Bräuer/Wiprächtiger-Geppert 2019, S. 208; Herv. i. Orig.). Dabei sollte eine Balance zwischen Heterogenität und Homogenität gefunden werden. So sollte bei der Auseinandersetzung mit Gegenständen immer auch wieder ein gemeinsamer Austausch über Ergebnisse stattfinden. In Bezug auf Deutschunterricht können diversitätssensible Aufgabenstellungen und individuelle Erfahrungen mit Sprache und Literatur der Heterogenität Rechnung tragen, während im Austausch mit anderen über diese individuellen Erfahrungen oder mit dem Fokus auf ein gemeinsames Produkt gemeinsames Lernen initiiert werden kann.

Curriculare Verankerung von Inklusion und Diversität

In Bezug auf die Thematisierung von Diversität und Inklusion wird in den deutschdidaktischen Seminaren des Masterstudiengangs übergreifend das Ziel verfolgt, unter Berücksichtigung der Heterogenität von Lerngruppen und der Diversität der Schüler*innen Leistungspotenziale weiterentwickeln zu können. Der Schwerpunkt liegt hier v. a. auf der Nutzung und Entwicklung von Interkulturalität und Mehrsprachigkeit. Die im SPL entwickelten Bausteine zur Sprachbildung werden im Seminar zur Vor- und Nachbereitung des Praktikums (innerhalb des Moduls M.Edu-FD-Ger.01a/b) eingesetzt und beziehen u. a. einen Beobachtungsauftrag (mit der Frage, inwiefern im Unterricht insbesondere auch sprachlich differenziert wird) für das Praktikum mit ein.
Im Modul M.Edu-FD-Ger.02 (Fachdidaktik - Fachwissenschaft Deutsch integrativ) wird mit dem Fokus auf unterschiedliche (vor allem sprachliche und kulturelle) Voraussetzungen die Frage verfolgt, was Diversität und Inklusion für die Gestaltung fachlicher Gegenstände (z. B. ein literarisches Werk) bedeutet.

Diskussionspunkte und offene Fragen

    Diskussion eines Beispiels für ein in Probe befindliches Lernsetting, das die Reflexion individueller Lernerfahrungen als Potenziale in der Gruppe nutzt

    In einem Dissertationsprojekt ist ein sprachbegabungssensibles Schreibsetting konstruiert worden, in dem die normative Vorstellung von inklusivem Unterricht als „individualisierte[s] Lernen[…] in sozialer Eingebundenheit“ (Seitz/Pfahl 2016, S. 32) konkretisiert und angewendet wird. Dabei sollen durch die Methode des Automatischen Schreibens individuelle Erfahrungen angeboten werden, die in einem anschließenden Reflexionsgespräch in der Gruppe als Lernpotenziale gemeinsam genutzt werden können (Reith/Hülsmann/Bräuer 2019).

    Anhand des Settings stellt sich die Frage, inwiefern auch inklusiver, in diesem Fall sprachsensibler Unterricht bestimmten Grenzen unterliegt. So werden in diesem Beispiel Normen hinsichtlich mitzubringender Fähigkeiten gesetzt (Schreiben, Sprechen und die Fähigkeiten zum Verständigen und Austauschen mit anderen), die nicht oder nur bedingt durch alternative Wege und Medien ersetzt werden könnten.


    Wann (an welchen Stellen des Lernprozesses) ist eher ein Austausch in der Gesamtgruppe mit allen Lernenden, wann eine Initiierung individualisierten Lernens sinnvoll?

    Die generellen Überlegungen zu diversitätssensiblem Unterricht und der Lehre werden auf die eigene Lehrerfahrung in Universitätsseminaren übertragen. Dabei wird diskutiert, ob eher geschlossene, vermittelnde Lehrformate zu Beginn i. S. e. Einführung von Inhalten stehen sollten, oder ob diese auch nach der offenen Auseinandersetzung mit Inhalten am Ende, z. B. des Studiums, i. S. e. Strukturierung von Inhalten stehen kann. Es stellt sich z. B. die Frage, inwieweit diese Überlegungen auf leistungsstärkere oder leistungsschwächere Schüler*innen übertragen werden können.


Literatur
Bräuer, Christoph; Wiprächtiger-Geppert, Maja (2019): Literarische Erfahrung. In: Olsen, Ralph; Hochstadt, Christiane (Hrsg.): Handbuch Deutschunterricht und Inklusion. Weinheim, Basel: Beltz, S. 208–224.
Reith, Sarah; Hülsmann, Delia; Bräuer, Christoph (i. E.): Schriftsprachliche (Hoch-) Begabungsförderung im Regelunterricht Deutsch durch gemeinschaftliche Reflexionen individueller écritures automatiques? Zur Konstruktion eines diversitätssensiblen Schreibsettings. In: Sauerborn, Hanna (Hrsg.): Inklusion im Deutschunterricht. Berlin: Dt. Ges. für Lesen und Schreiben (DGLS-Beiträge, 20).
Seitz, Simone; Pfahl, Lisa (2016): Begabungsförderung und Inklusion. In: Seitz, Simone; Pfahl, Lisa; Lassek, Maresi; Rastede, Michaela; Steinhaus, Friederike (Hrsg.): Hochbegabung inklusive. Inklusion als Impuls für Begabungsförderung an Schulen. Weinheim, Basel: Beltz, S. 15–33.