Überlieferungsgeschichte der koptischen Bibel und Literatur
Leider mangelt es wegen der historischen Umstände der Koptologie, der Wissenschaft vom christlichen Ägypten, an vielen grundlegenden Arbeiten, über die andere Disziplinen seit dem 19. Jh. verfügen und die dort eine solide Basis für weitere Forschungen bilden. So fehlen z.B. ein Thesaurus Linguae Copticae, große Sammelwerke oder immer noch in vielen Fällen moderne Texteditionen. Dies hat seinen Ursprung in der Geschichte des kulturellen Erbes Ägyptens in der Zeit nach dem Ende des Pharaonenreichs und ihrer Erforschung. Mit dem ausgehenden Mittelalter ging die aktive Beherrschung der koptischen Sprache, der letzten Stufe in der Entwicklung des hieroglyphischen Ägyptischen, zugunsten des Arabischen verloren. Gleichzeitig verfielen viele Bibliotheken, vor allem von Klöstern, in denen die schriftlichen Hinterlassenschaften des christlichen Ägypten vornehmlich aufbewahrt wurden. Im 18., 19. und frühen 20. Jh. wurden viele dieser Bibliotheken dadurch zerstreut, daß Händler und Reisende Handschriften - vielfach nur einzelne Fragmente, Blätter oder Blöcke von Blättern - ankauften und sie in Sammlungen und Museen in Europa und den USA verbrachten. Kaum eine Handschrift ist dadurch heute vollständig erhalten, und die erhaltenen Blätter sind in der Regel über mehrere, oft dutzende Sammlungen verstreut. Gleichzeitig fehlte es den koptischen Denkmälern und Texten auch oft an Beachtung seitens der ägyptologischen Wissenschaft. Nach der Entzifferung der Hieroglyphen 1822 wandte sich das Interesse sehr schnell von der koptischen Sprache, die für die Entzifferung instrumental gewesen war, hin zu den älteren Sprachstufen des Ägyptischen und von den im Vergleich unscheinbaren Denkmälern und Zeugnissen des Alltagslebens der Christen zu den Monumentalbauten der Pharaonen. Der Aufschwung der Ägyptologie als Wissenschaft ab dem 19. Jahrhundert ging daher nicht parallel zu einem Aufschwung der Koptologie, so dass die erwähnten Forschungslücken entstanden und geblieben sind.