Title
Transferproblematik, Nachhaltigkeit der Leistungsbilanz und E(W)U-Osterweiterung

1.1 Fragestellung
Die übergeordnete Problemstellung der Arbeit bezieht sich auf das optimale Timing der Euro-Einführung in den Neuen Mitgliedsstaaten (NMS) der Europäischen Union, insbesondere den Visegrad-Staaten. Die Befürworter einer schnellen Euro-Einführung konstatieren zwar, dass – aufgrund des bekannten Balassa-Samuelson-Effektes – die Maastricht-Kriterien für die Euroreife einen Zielkonflikt zwischen nominaler und realer Konvergenz begründen können, indem sie die aufstrebenden Volkswirtschaften zu einer Übergangsrezession nötigen, sofern eine frühzeitige Euro-Einführung gewünscht wird. Ein schneller Beitritt zum Eurosystem habe jedoch zum einen stabilisierungspolitische Vorteile, beispielsweise wegen eines hohen Wechselkursdurchschlags („pass through“) auf die Inflationsrate; zum anderen eliminiere ein schneller Beitritt auch sämtliche Risiken von Spekulationsattacken und Zahlungsbilanzkrisen. Die Arbeit untersucht eine mögliche Qualifikation dieser Argumentation: Wie die meisten Schwellenländer im industriellen Aufholprozess weisen auch die Visegrad-Staaten anhaltende Leistungsbilanzdefizite auf, d.h. sie sind Nettoschuldnerländer. Solange man davon ausgeht, dass sich internationale Finanzmarktbeziehungen völlig friktionslos gestalten, stellt solch ein konvergenzbedingtes Leistungsbilanzdefizit kein besonderes Problem für die Frage der Euroreife dar. Andernfalls (Stichwort: asymmetrische Informationen) droht das Risiko der internationalen Kreditrationierung durch einen „Sudden Stop“ der Kapitalimporte, sobald ein Nettoschuldnerland als potentiell insolvent oder nicht mehr kreditwürdig gilt. Was bedeutet das für die Euroreife der Visegrad-Staaten? Inwiefern ist das Sudden-Stop-Phänomen von wechselkurspolitischer Relevanz? Könnte ein anhaltendes Leistungsbilanzdefizit von der Finanzierungsseite her einen fundamentalen Zielkonflikt zwischen nominaler und realer Konvergenz begründen, wenn die Euro-Einführung zu früh erfolgt? Und welche Indikatoren wären geeignet, die Risiken eines Sudden Stops nach der Euro-Einführung abzubilden?
1.2 Forschungsprogramm
Die grundlegende Idee der Arbeit besteht darin, die Leistungsbilanz auf ihre Tauglichkeit als (Übergangs-)Indikator für die Euroreife hin zu untersuchen. Zu diesem Zweck wird das Konzept der Leistungsbilanznachhaltigkeit angewendet, das auf S. Edwards und einige Studien aus der IWF-Forschungsabteilung zurückgeht. Zur Diskussion steht dabei nicht nur die empirische Eignung dieses Untersuchungsansatzes für die Beurteilung der Euroreife, sondern auch die angemessene Operationalisierung.
1.3 Forschungsergebnisse
Die vorläufigen Arbeitsergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
i.Da es sich bei Sudden Stops nicht um ein rein monetäres Phänomen handelt – die (Nicht-)Gewährung internationaler Kredite ist bekanntlich eine intertemporal motivierte Entscheidung –, kann man keineswegs darauf vertrauen, dass im Zuge der Euro-Einführung alle Risiken einer Zahlungsbilanzkrise eliminiert werden, weil nominale Zinsen und Inflationsraten einen Konvergenzprozess durchlaufen. Die Gefahr eines Sudden Stops bleibt also selbst unter dem glaubwürdigsten aller Festkurssysteme.
ii.Insgesamt kann die Nachhaltigkeit der Leistungsbilanz als ein viel versprechendes Kriterium für die Euroreife (im Sinn der Krisenanfälligkeit) angesehen werden. Dazu sollte allerdings nicht nur ein quantitativer Benchmark (auf Grundlage intertemporaler Zahlungsbilanzmodelle) ermittelt, sondern auch die Verwendung der Kapitalimporte und ihre Effekte auf wichtige Makrovariablen (wie z.B. den realen Wechselkurs) untersucht werden (zweistufiger, nicht-struktureller Untersuchungsansatz).
iii.Der Weg zum Euro scheint selbst für die vier Visegrad-Staaten von unterschiedlicher Länge und mit unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Herausforderungen verbunden zu sein, so dass Empfehlungen für ein „one size fits all“, wie z.B. eine grundsätzlich schnelle Euro-Einführung, als problematisch anzusehen sind.