Kunstwerk des Monats Juni

02. Juni 2024
Ein bisschen Köln in Göttingen – Wie Gipsabgüsse einen längst vergangenen Zustand erhalten
Vorgestellt von Sanna Urban


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Das Kunstwerk des Monats besteht im Juni aus einer Gruppe von gleich zwölf Figuren, den Gipsabgüssen der Prophetenfiguren vom Dreikönigenschrein aus dem Kölner Dom.
Tatsächlich gibt es neben den Gipsabgüssen antiker Skulptur, auch Abformungen späterer Kunst, wie beispielsweise von mittelalterlicher Schatzkunst, in den Göttinger Sammlungen. Diesem Thema widmete sich ein Seminar im Wintersemester 2021/22 unter der Leitung von Dr. Anne-Katrin Sors und Prof. Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck (Universität Bonn), in dem einige der Objekte zum ersten Mal genauer untersucht wurden. Studierende aus Göttingen und Bonn spezialisierten sich für verschiedene Gipsabgüsse der beiden Sammlungen und tauschten sich in Online-Sitzungen und Exkursionen miteinander aus. Die detektivische Spurensuche offenbarte spannende neue Erkenntnisse über die Objekte und brachte die Bedeutung von Gipsabgüssen für die kunsthistorische Forschung erneut zum Vorschein.
Im Vortrag werden die Gipsabgüsse der zwölf sogenannten Prophetenfiguren vom Dreikönigenschrein vorgestellt, deren Mutterobjekt um 1200 entstanden ist und im Chor des Kölner Domes steht. Der Göttinger Bestand stellt die einzig bekannte heute noch vollständige Sammlung dieser Abgüsse der Prophetenfiguren dar. Die Gipse wurden ursprünglich vom Welfenmuseum in Hannover (dem heutigen Niedersächsischen Landesmuseum Hannover) angekauft und 1981 an die Kunstsammlung der Universität Göttingen übergeben. Das Welfenmuseum sammelte Kunstwerke von ästhetischer, historischer und heimatgeschichtlicher Bedeutung. König (und späterer Kaiser) Otto IV., ein Sohn Heinrichs des Löwen und entsprechend ein Welfe, hatte dem Schrein wertvolle Materialien gestiftet und sich selbst prominent darauf verewigen lassen. Der Dreikönigenschrein konnte durch die Verbindung zum Welfenkönig Otto IV. auch die heimatgeschichtliche Anforderung für ein Sammlungsobjekt im Welfenmuseum erfüllen. Da er nicht im Original zu beschaffen war, wurden Gipsabgüsse davon angefertigt. Als man die Gipse in den 80er Jahren in Hannover aussortierte, gab man sie in die Kunstsammlung nach Göttingen, damit sie zumindest zu Lehrzwecken genutzt werden würden. Erst vierzig Jahre später sollte dies der Fall sein. Jedoch dienen sie nicht zur Anschauung des Mutterobjekts oder zur Lehre des Stils aus dem späten 12./frühen 13. Jahrhundert, sondern werden als alleinstehende Objekte betrachtet.
Weitere spannende Fragen betreffen die Erstellung der Gipsabgüsse. Im Laufe der Erforschung der Objekte konnte der Gipsformer in Köln identifiziert werden, der die Abgüsse in der Mitte des 19. Jahrhunderts angefertigt hatte. Dadurch ist ein Zustand eingefroren, den man heute nicht mehr am Schrein nachvollziehen kann, da dieser einige Male restauriert worden ist. Bei dem Vergleich mit dem Mutterobjekt können deutliche Unterschiede, sowohl motivisch als auch stilistisch, festgestellt werden. Gründe dafür sind neben den Restaurierungen die Abgusstechnik und die Überarbeitung der Gipsabgüsse.
Sanna Urban