Philosophische Fakultät
Die Philosophische Fakultät wurde bereits mit der Gründung der Universität 1734 eingerichtet. Hinsichtlich ihrer Hörerzahl lag sie allerdings lange Zeit auf dem zweiten Platz hinter den Juristen. Anfangs wurden Professuren für Mathematik, Geschichte, Literaturgeschichte, klassische Philologie und Philosophie sowie für “Moral und Politik” eingerichtet, wobei der jeweilige Inhalt der Fächer bis ins frühe 19. Jahrhundert stark variierte und von den jeweiligen Lehrenden abhing. Aus dieser Freiheit der Lehrenden heraus wurden teils spezielle Inhalte unterrichtet, die sich nachfolgend zu eigenen Fächern entwickelten. Beispiele hierfür bieten etwa die Physik, die sich unter dem Georg Christoph Lichtenberg (in Göttingen tätig 1781–1799) zu einer eigenständigen Disziplin wurde, oder die Forst-, Agrar- und Wirtschaftswissenschaften, welche sich in Göttingen Mitte des 19. Jahrhunderts in enger Verbindung mit dem Lehrstuhl für Kameralistik entwickelten.
Ab 1800 nahm die Ausdifferenzierung der Fächer an der Philosophischen Fakultät weiter zu. In diese Zeit fällt auch die Schaffenszeit des berühmten Naturwissenschaftlers Carl Friedrich Gauß, der seit 1807 Mathematik an der Philosophischen Fakultät lehrte und 1817 Direktor der neu erbauten Sternwarte wurde. Unter dem Klassischen Philologen Christian Gottlob Heyne entwickelten sich die Altertumswissenschaften in Form von Alter Geschichte und Archäologie, während die Mineralogie 1811 und die Kunstgeschichte 1813 eigene Lehrstühle erhielten. Für das neue Fach Germanistik wurden 1830 mit Jacob und Wilhelm Grimm zwei Professoren berufen. 1836 erhielten das Fach Geologie und Paläontologie eine eigene Professur, während die Chemie mit dem Amtsantritt Friedrich Wöhlers von der Medizinischen Fakultät an die Philosophische Fakultät wechselte.
Mitte des 19. Jahrhunderts wechselten auch die biologischen Fächer Botanik und Zoologie von der Medizinischen an die Philosophische Fakultät. Auf die wachsende Diversifizierung der Fächer reagierte die Philosophische Fakultät ab den 1870er Jahren mit der Gründung von diversen eigenständigen Instituten und Seminaren. Auf das 1850 gegründete “mathematisch-physikalische Seminar” folgten 1878/79 ein Pflanzenphysiologisches Institut und in den 1880er Jahren das Seminar für Geowissenschaften, sowie jeweils für Kunstgeschichte, Psychologie, Germanistik, Anglistik und Romanische Philologie. Die Wirtschaftswissenschaften, die lange ein Randdasein in der Philosophischen Fakultät gefristet hatten, erhielten 1895 das interdisziplinäre Seminar für Versicherungswissenschaften und 1899 den Vorgänger zum Volkswirtschaftlichen Seminar. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs wurden 1912 die wirtschaftswissenschaftlichen Fächer infolge ihrer zunehmenden Bedeutung aus der Philosophischen Fakultät herausgelöst, um mit der Juristischen Fakultät die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät zu konstituieren.
Ende des 19. Jahrhunderts erlebten die mathematisch-naturwissenschaftlichen an der Georgia Augusta einen enormen Aufschwung, wozu auch der finanzstarke Förderverein “Göttinger Vereinigung zur Förderung der angewandten Physik und Mathematik” beitrug, den der Mathematiker Felix Klein 1898 ins Leben rief. Der Verein ermöglichte eine Verdopplung der mathematischen und physikalischen Ordinarien auf acht und förderte zahlreiche Institute, darunter das Institut für angewandte Elektrizität, angewandte Mathematik und Mechanik und das Geophysikalische Institut. Unter diesen günstigen Bedingungen gewann der Göttinger Chemiker Otto Wallach 1910 den Nobelpreis für seine Forschungen. 1922 wurden dann die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer – Mathematik, Physik, Chemie, Geowissenschaften, Biologie, Psychologie und Agrarwissenschaften – aus der Philosophischen Fakultät gelöst und mit ihnen die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät gegründet. Zeitgleich wurde der Mathematikerin Emmy Noether 1922 die Habilitation gestattet, was politisch erhebliche Wellen schlug. Sowohl Noether als auch die Physikerin Hertha Sponer, die einzige weitere bis dahin in Göttingen habilitierte Frau, wurden jedoch während des Nationalsozialismus von der Universität vertrieben. Erst 1972 wurde mit der Historikerin Helba Grebing eine Frau in Göttingen auf eine ordentlichen Professur berufen.
Das Herauslösen der Naturwissenschaften ermöglichte der Philosophischen Fakultät eine Stärkung ihres Profils, so dass die Schaffung eigener Institute befördert wurde. 1920 erhielt die Musikwissenschaft ein bescheidenes Seminar mit Ordinariat, fünf Jahre später wurde das Sinologische Seminar eingerichtet. Sodann entstanden das Indologische sowie das Soziologische Seminar.
Während des Nationalsozialismus wurden acht Professoren, eine Habilitandin und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der Philosophischen Fakultät ohne Ruhegehalt entlassen - weiteren Personen wurden ihre akademischen Titel aberkannt. Gleichzeitig profitierten andere Mitglieder der Philosophischen Fakultät von der NS-Herrschaft wie beispielsweise Friedrich Naumann, der bei einer Bücherverbrennung 1933 als Hauptredner auftrat und später zum Rektor gewählt wurde.
Unter dem NS-Regime veränderte sich die Fächerzusammensetzung der Philosophischen Fakultät. Aufgewertet wurden das Fach “Völkerkunde”, welches 1938 ein eigenes Institut erhielt, sowie das Fach Leibesübungen, das von den Nationalsozialisten gefördert, dann auch ausgegliedert und nach dem Krieg nur mühselig wieder eingegliedert wurde. Die Professur für Soziologie blieb ab 1933 – das Fach wurde dann 1952 an die Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät angebunden. Die Pädagogik hatte erst 1921 ein eigenes Ordinariat, doch das Institut wurde 1937 geschlossen.
Das Ende des Zweiten Weltkriegs bildete für die Fakultät keinen Bruch, so dass beispielsweise der offen für den Nationalsozialismus eintretende Althistoriker Ulrich Kahrstedt sein Ordinariat fortführen. Die Ausdifferenzierung und Diversifizierung innerhalb der Philosophischen Fakultät wurden fortgeführt: In den Jahren nach 1946 erhielten die Skandinavistik sowie die Finnisch-Ugrische und die Slavische Philologie eigene Seminare. 1960 folgte das Seminar für Arabistik, 1981 dann das Seminar für Turkologie und Zentralasienkunde, während Japanologie ab 1982 als eigenes Fach unterrichtet wurde. Im Zuge des Ausbaus der Universitäten stieg die Zahl der Professuren im Laufe der 50er und 60er Jahre beispielsweise in der Germanistik auf neun, in der Anglistik auf fünf – die Philosophie erhielt 1963 ihren dritten Lehrstuhl; Klassische Philologie wurde um 1987 von fünf Professoren unterrichtet. Auch das Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte wuchs in der Nachkriegszeit von zwei auf vier ordentliche Professuren, dann ab den späten 50er Jahren um weitere Lehrstühle für Osteuropäische Geschichte, niedersächsische Landesgeschichte, die historischen Hilfswissenschaften und die Sozialgeschichte geschaffen wurden. Die Pädagogik hatte noch 1972 einen dritten Lehrstuhl für das neu gegründete Pädagogische Seminar erhalten, wurde dann aber 1980 dem Sozialwissenschaftlichen Fachbereich zugeordnet.
Mit den Änderungen durch das Niedersächsische Hochschulgesetz von 1978 wurde die Philosophische Fakultät verwaltungstechnisch in den Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften abgeändert, nachdem sie gemäß einer Übergangssatzung von 1969 in sieben Fachbereiche – Empirische Human- und Sozialwissenschaften, Geschichte, Sprachwissenschaften, Klassische und Mediävistische Philologien, Literaturwissenschaften und Philosophie und historische Kulturwissenschaften – untergliedert worden war. Die Rückkehr zur alten Fakultätsstruktur erfolgte dann im Jahr 1996.
Literaturverzeichnis
- Geyken, Frauke: Zum Wohle Aller. Geschichte der Georg-August-Universität Göttingen von ihrer Gründung 1737 bis 2019, Göttingen 2019.
- Maercker, Dietrich von: Die Zahlen der Studierenden an der Georg-August-Universität in Göttingen von 1734/37 bis 1978, in: Göttinger Jahrbuch 27 (1979), S. 141–158.
- Rupke, Nicolaas: Das Göttinger Nobelpreiswunder, wissenschaftshistorisch betrachtet, in: Mittler, Elmar / Paul, Fritz (Hrsg.): Das Göttinger Nobelpreiswunder. 100 Jahre Nobelpreis, Göttingen 2004, S. 37–52.
- Schlotter, Hans-Günther (Hrsg.): Die Geschichte der Verfassung und der Fachbereiche der Georg-August-Universität zu Göttingen, Göttingen 1994.
- Tobies, Renate: Wissenschaftliche Schwerpunktbildung. Der Ausbau Göttingens zumZentrum der Mathematik und Naturwissenschaften, in: Brocke, B. vom (Hrsg.): Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftspolitik im Industriezeitalter. Das "System Althoff" in historischer Perspektive. Edition Bildung und Wissenschaft, Hildesheim 1991, S. 87–108.
- Wittram, Reinhard: Die Universität und ihre Fakultäten. Festvortrag gehalten am 17. November 1962 anläßlich der Feier des 225jährigen Bestehens der Georg-August-Universität Göttingen in der Aula der Universität, Göttingen 1962.