Kunstwerk des Monats im Juni 2019
02. Juni 2019
Von der Poetisierung des Krieges: Friedrich Geselschaps »Muse Kalliope«
Vorgestellt von: Dr. Ulf Dingerdissen, Göttingen
Auch wenn sie mit ihrem Helm und dem im Ansatz zu erkennenden Brustpanzer durchaus der griechischen Göttin des klug geführten Krieges ähnelt, handelt es sich bei dieser weiblichen Figur nicht um Pallas Athene, als welche sie zunächst fälschlicherweise in die Göttinger Kunstsammlung aufgenommen worden ist, sondern um die Muse der epischen Dichtung. Abgesehen von dem Lorbeerkranz, einem ihrer tradierten Attribute, ist die Darstellung der Kalliope in Rüstung tatsächlich ungewöhnlich. Sie lässt sich aber mit der Funktion erklären, die Friedrich Geselschap (Wesel 1835 – 1898 Rom) dieser Muse ursprünglich zugewiesen hat, liegt hier doch ein Karton für seinen Triumphzug vor, dem von ihm 1879-1883 in Kaseintechnik ausgeführten Kuppelfries der sogenannten Herrscherhalle im Berliner Zeughaus. Formal und inhaltlich ist die Muse Kalliope eine Schlüsselfigur in dem komplexen Bildprogramm, das Krieg und Frieden, Triumph und Niederlage unter Einbeziehung von Distichen des Dichters Julius Wolff (1834 Quedlinburg – Berlin 1910) versinnbildlicht. Als Deckenbild des zentralen Saals fasst Geselschaps Triumphzug zugleich allegorisch die grundsätzliche Idee der preußischen Ruhmeshalle zusammen, die Kaiser Wilhelm I. nach dem unter ihm erfolgreich geführten Krieg gegen Frankreich (1870-1871) unter Mitwirkung zahlreicher Künstler im Zeughaus einrichten ließ: Die Ruhmeshalle sollte vom militärischen Erfolg der Hohenzollern-Dynastie künden und damit gleichzeitig ihre Herrschaft legitimieren!
Wegen dieser politischen Aussage wurde die im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte Ruhmeshalle bei der Neugestaltung des Zeughauses nicht berücksichtigt. Der Göttinger Karton ist damit nicht nur einer der wenigen verbliebenen Bilddokumente, die eine Idee von Geselschaps monumentalen Kuppelfries vermitteln. Mit seinen Gebrauchsspuren wie etwa der Punktierung erlaubt er vielmehr auch Einblicke in die Arbeitsweise des Künstlers, der zu seinen Lebzeiten als einer der größten deutschen Historienmaler galt.