Kunstwerk des Monats im Oktober 2018
07. Oktober 2018
Karikierte Koryphäe. Der subtil kritische (oder sogar subversive?) Blick auf den Herrn Professor
Vorgestellt von: Karsten Heck (Zentrale Kustodie)
Mit spitzer Feder hat der Göttinger Zeichner und Lithograf Friedrich Eduard Ritmüller (1805-1868) einen der berühmtesten Wissenschaftler unter seinen Zeitgenossen, den Mathematiker und Physiker Carl Friedrich Gauß (1777-1855) portraitiert. Das Blatt ist derzeit, gemeinsam mit zwei weiteren Karikaturen Ritmüllers und zwei Amateurzeichnungen, in der Sektion 09_Karikatur der Ausstellung Face the Fact. Wissenschaftlichkeit im Portrait zu besichtigen.
Ausgehend von der Vielfalt an Bildnissen Gauß‘, die sich in den Sammlungen der Universität Göttingen finden, werden die Eigenheiten des Ritmüllerschen Blattes in der Darstellung der Koryphäe Gauß herausgearbeitet, die das Bild zu einer Karikatur machen. Wesentlicher Bestandteil des Witzes, den dieses Blatt über den gefeierten Wissenschaftler macht, ist die Bildunterschrift, ein kurzer und fiktiver Dialog mit der Tochter. Für den heutigen Betrachter sind diese Worte jedoch kaum mehr verständlich. Es braucht Wissen über den Entstehungskontext der Zeichnung, um die Pointe zu erfassen. Dieses will der Vortrag liefern, bzw. einen Interpretationsvorschlag, der mitten hinein führt in die Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts, die Beforschung des Magnetfelds der Erde und ein frühes Verbundprojekt globaler Wissenschaft und weltweit erfasster Daten.
Der Vergleich des Ritmüller-Blattes mit seinem direkten Wand-Nachbarn in der Face the Fact-Ausstellung, eher einer Kritzelei, aber aus der Hand von Carl Friedrich Gauß selbst (!), bietet zudem Anlass für Überlegungen zur Gattung der Karikatur allgemein und deren Repertoire an Kritikformen, vom subtilen Augenzwinkern bis zum Schlag unter die Gürtellinie.