Kunstwerk des Monats im April 2018


08. April 2018
Die natürliche Kunst des Schattens. La Peinture von Edme Jeaurat
Vorgestellt von: Anna Lena Frank, M.A.

KdM April 2018 MittelAls Teil einer vierteiligen Serie von weiblichen Künsten und Wissenschaften in ovalen Rahmen gibt die Radierung La Peinture von Edme Jeaurat so manches Rätsel auf. Warum zum Beispiel ist die Leinwand einer Allegorie der Malerei bis auf ihren eigenen Schatten leer? Und warum richtet sich alles auf eine verschattete Skulptur im Hintergrund aus?

Auf einem nicht näher definierten Untergrund sitzt vor einer Staffelei eine in üppige Gewänder gekleidete junge Frau, die Pinsel und Farbpalette in der Hand hält. Ihr Schatten und ihr Malstock hinterlassen, von ihr unbemerkt, ein ‚Bild’ auf der ansonsten leeren Leinwand. Sie nämlich wendet sich von dieser ab und blickt der zeigenden Handbewegung eines jungen Knaben nach, den sie an der Schulter berührt. Folgt auch der Betrachter der Geste des Kindes und dem Blick der Frau, so entdeckt er, etwas in den Hintergrund gerückt, auf einem Podest eine Statue. Ihre vielen Brüste und ihr mit Tieren verzierter Ependytes – das Priesterkleid, das den Eindruck eines säulenartigen Schafts erzeugt – kennzeichnen sie als Diana Ephesia. In der Frühen Neuzeit wurde diese ephesische Göttin als Versinnbildlichung der Natur gedeutet.
Als Allegorie der Natur also steht die Statue hier nicht nur, im Gegensatz zur jungen Frau und dem Kind, vor dem Himmel, sondern ist auch von Pflanzen umgeben, die zugleich den Vordergrund mit dem Hintergrund und somit die Natur mit der Kunst verbinden.

Die junge Frau wird nämlich, zusätzlich zur Leinwand und zum Malstock, durch die Farbpalette und die Pinsel in ihrer Hand zweifellos als Allegorie der Malerei gekennzeichnet. Auch wenn die wichtigsten Attribute einer Allegorie der Malerei also vorhanden sind, wird nicht, wie sonst üblich, der Akt des Malens gezeigt. Denn obwohl sich die Frau unmittelbar vor dem Malprozess befindet – die Farben sind schon auf der Palette – wird viel mehr der Verweis des Jungen auf die Statue der Diana Ephesia im Hintergrund zum eigentlichen Thema. Zu vermuten ist, dass die Kunsttheorie der Frühen Neuzeit und ihre Forderung von gleichzeitiger Antiken- und Naturnachahmung eine bedeutsame Rolle bei diesen Ungereimtheiten spielt: Eine eingehendere Betrachtung offenbart, dass es sich bei der Diana eher um eine Statuette als um eine Monumentalskulptur handelt. Das Ideal der Malerei wird also als ein von Menschenhand geschaffenes Kunstwerk inszeniert, dessen antikes Vorbild der gelehrte Betrachter erkennt. Die Diana Ephesia changiert somit zwischen abstraktem Naturideal und greifbarem Antikenstück.

Auch der, von der Peinture ausgehende, Schatten, der auf eine bei Plinius dem Älteren (23/24 -79 n. Chr.) und Quintilian (35-96 n. Chr.) überlieferte Legende über den Ursprung der Malerei verweist, scheint relevant für einen Deutungsversuch zu sein: Beide Autoren schreiben, dass das erste Bild entstand, als man den Schatten eines Menschen mit Linien nachgezogen habe. Bei Plinius formte der Töpfer Butades das erste Bildnis, nachdem seine Tochter „aus Liebe zu einem jungen Mann, der in die Fremde ging, bei Lampenlicht an der Wand den Schatten seines Gesichts mit Linien umzogen“ habe. Wichtig ist, dass im vorliegenden Beispiel jedoch keine Lampe, sondern die Sonne als natürliche Lichtquelle den Schatten wirft – die Natur selbst wird zur Künstlerin. Hier folgte le Clerc der Version Quintilians, da auch dieser von der Sonne als Urheberin der Schatten spricht. Im Gegensatz zu dessen Schilderung, in der Männer den Schatten nachziehen, ist auf Le Clercs Darstellung in Anlehnung an Plinius’ Legende jedoch eine junge Frau die (erste) Künstlerin.