Theodor Fontane: Ein Sommer in London.
Große Brandenburger Augabe,
Das reiseliterarische Werk, Band 1
Bandherausgeber
- Daniel Göske und Maren Ermisch
»Ein Sommer in London«, eine Sammlung von 35 Reisefeuilletons über London und Umgebung, erschien im Herbst 1854, zwei Jahre nach Fontanes knapp fünfmonatigem Aufenthalt in der Metropole des britischen Weltreichs. Fontanes erster Prosaband besteht zumeist aus Beiträgen, die er im Sommer 1852 aus London an die »Preußische (Adler-)Zeitung« und andere konservative Blätter schickte und publizierte. Hinzu kamen Texte, die er später in der Heimat verfasst haben muss. Aus persönlichen Erfahrungsberichten und zahlreichen eher kritischen Artikeln, die »englische« mit der »deutschen« Kultur vergleichen, entstand so das wohl preußischste Londonbuch der Literaturgeschichte.
Diese erste größere Arbeit des späteren Reiseschriftstellers und Romanciers lässt sich lesen sowohl als durchweg ambivalente Erkundung des modernen England – immer mit Seitenblicken auf die Heimat – als auch als journalistisch-novellistische Erprobung unterschiedlicher Formen und Stile. Fontane orientierte sich dabei an diversen englischen und deutschen Quellen, Vorbildern und Konkurrenten. Gleichzeitig musste er Rücksicht nehmen auf seine Auftraggeber in Berlin und das heimische Publikum.
In diesem Kontext betrachtet wird die Uneinheitlichkeit des Bandes, für manche ein ästhetisches Manko, zum kultur- und literarhistorisch ergiebigen Ausgangspunkt dieser Neuedition. Zwar charakterisierte Fontane seinen Erstling im Brief an Theodor Storm als »eine Art ›Guide‹« mit einem »ganz praktischen Zweck« (12. September 1854). Aber schon seine eigentümliche Auswahl und Beurteilung der »Sehenswürdigkeiten« Londons sowie seine kulturkritischen Sottisen widersprechen dem gerade entstehenden Genre des touristischen Reiseführers. Statt praktischer« Informationen bot Fontane ein Neben- und Ineinander von statistischer Reportage, impressionistischer Skizze, novellistisch ausgeschmücktem Reisebericht, journalistischer Rezension, historisch-biographischen Exkursionen und adaptierender Übersetzung von Zeitungsartikeln wie Volksballaden. Diese thematische und stilistische Heterogenität des Bandes und die Komplexität seiner Entstehung soll diese neue Ausgabe ausleuchten.
»Ein Sommer in London« in der Großen Brandenburger Ausgabe
In der Großen Brandenburger Ausgabe wird »Ein Sommer in London« als erster Band des Reiseliterarischen Werkes erstmals seit der ersten Buchausgabe von 1854 wieder in seiner historischen Orthographie ediert. Der Kommentar bietet neben den Überblicken über die vielfältigen Genrekontexte, die Entstehungsgeschichte, die Rezeption und die Überlieferung einen quellen- und forschungsgestützten Einzelstellenkommentar, in dem insbesondere Fontanes Rolle als Übersetzer und Übertrager zeitgenössischer Artikel herausgearbeitet werden soll. Annotierte Personen- und Ortsregister schließen auch diesen Band ab.
(Daniel Göske)