Kunstwerk des Monats im Dezember 2007
02. Dezember 2007
"Vedute di Roma" von Giovanni Battista Piranesi
Vorgestellt von: Prof. Dr. Thomas Noll
Erstmals 1740 kam der in Mogliani bei Mestre geborene Giovanni Battista Piranesi (1720-1778) nach Rom. Der 20jährige hatte in Venedig eine Ausbildung als Architekt und vielleicht auch als Bühnenbildner erfahren; in Rom trat er für einige Zeit in die Werkstatt ein zunächst von Domenico und Giuseppe Valeriani, den führenden Bühnenbild- und Ruinenmalern, dann von Giuseppe Vasi, dem bedeutendsten Vedutenzeichner der "Ewigen Stadt". Wegweisend für Piranesis künstlerische Laufbahn waren diese Begegnungen, schicksalsbestimmend aber wurde zumal der überwältigende Eindruck, den der junge Künstler von Rom und namentlich von den monumentalen Zeugnissen der Antike empfing. "Täglich", so berichtet ein früher Biograph, habe er sich "inmitten der Ruinen" aufgehalten und die "römischen Altertümer bis zu den geringsten Überresten kennengelernt". Nach einem kurzen Aufenthalt nochmals in Venedig (1744/45) ließ Piranesi sich dauerhaft in Rom nieder.
Ausschlaggebend für diese Entscheidung mochte einerseits die Erwägung sein, daß er, der als Architekt in seiner Zeit auf keine größeren Aufträge mehr hoffen durfte, statt dessen als Vedutenzeichner in Rom eine günstigere Position als in Venedig (wo der Bedarf gedeckt war) gewinnen konnte. Andererseits aber hielt die "Großheit" Roms offenkundig diejenigen Motive bereit, durch die Piranesis künstlerisches Temperament zur Entfaltung gelangte. Die erste, zwölf kleinformatige Blätter umfassende Folge von Radierungen 1743 ("Prima Parte di Architetture") stellte - im Sinne von Capricci - phantasievolle Architekturansichten dar, in denen antike mit barocken und klassizistischen Formen sich verbinden. Bald aber entstanden exakte Darstellungen der antiken und neueren Bauten Roms. Im Rahmen einer Sammelpublikation von 1751 ("Le Magnificenze di Roma") erschienen die ersten 34 - nun großformatigen - Radierungen der "Vedute di Roma", Ansichten der vorzüglichen Sehenswürdigkeiten in Rom von der Antike bis ins 18. Jahrhundert, die Piranesi bis zum Ende seines Lebens beschäftigen sollten. Große Genauigkeit beobachtet der Künstler hier bei den baulichen Details und dokumentiert gewissenhaft den Erhaltungszustand etwa der antiken Monumente. Zugleich aber setzt er diese Monumente durch eine dynamische Perspektive und durch ein spannungsvolles Helldunkel dramatisch in Szene; vor allem übersteigert er vielfach die Dimensionen, so daß gegenüber winzigen (und nicht selten armseligen) Staffagefiguren die Großartigkeit der Bauten - und insbesondere der antiken Ruinen als Überreste geradezu eines titanenhaften Geschlechts - machtvoll hervorleuchtet. In dem archäologischen und kunsttheoretischen Diskurs seiner Epoche darüber, ob der griechischen oder der etruskisch-römischen Kunst der Primat zukomme, propagierte Piranesi - gegen Johann Joachim Wickelmann u.a. - entschieden den Vorrang der letzteren. Noch die geringsten Relikte der einheimischen antiken Kunst- und Ingenieurleistungen erscheinen bei ihm als Ausdruck eines überwältigenden, spornend in die Gegenwart hineinragenden Ingeniums. Die Kunst der Vedute, deren Anfänge in das 16. Jahrhundert zurückreichen, und die Technik der Radierung führte Piranesi zu einem unübertroffenen Höhepunkt. Wesentlich seine Veduten, die alle bis dahin geschaffenen Rom-Ansichten übertrafen, prägten - außerhalb Roms - die Vorstellung von der "Ewigen Stadt". Ein Reiseführer von 1777 resümiert: "Die Prospekte oder Vedute di Roma von Piranesi sind vortrefflich. [...] Der Preis ist sehr billig, und man kann aller anderen entbehren."