Kunstwerk des Monats im Oktober 2008


05. Oktober 2008
"Der sterbende Hecht" von A. Paul Weber, 1957
Vorgestellt von: Prof. Dr. Thomas Noll

A. Paul Weber: Der sterbende Hecht"Mit Selbstverständlichkeit und Überheblichkeit macht man das Wasser zum bequemen und kostenlosen Schuttabladeplatz, zur Jauchegrube für Dreck und Unrat. Die Flüsse sind zu Kloaken geworden, und das Wasser kann ohne vorherige chemische Reinigung nicht mehr getrunken werden. Der Fluch der alten Flußgötzen hat sich erfüllt.

"Mit diesem Zitat von Günther Schwab versah A. Paul Weber (1893-1980) eine Kreidelithographie, die bereits 1957 geschaffen und in der Zeitschrift "Simplicissimus" veröffentlicht worden war, bei deren neuerlichem Erscheinen 1963 in dem vom Künstler selbst herausgegebenen "Kritischen Kalender".

"Der sterbende Hecht" zeigt in Nahsicht einen schmalen Wasserlauf, in dem der Fisch, groß im Vordergrund, schon zur Seite gedreht, nur mehr zu treiben scheint und offensichtlich verendet. Gemäuer im Hintergrund mit vergitterten Fenstern deuten auf Fabrikgebäude, die aus mehreren Rohröffnungen Flüssigkeit in das Gewässer abgeben; in seiner dunklen, ungleichmäßigen Tönung vermittelt dieses Wasser den Eindruck hochgradiger Verschmutzung.

"Der sterbende Hecht" steht thematisch nicht allein. In demselben Jahr 1957 schuf Weber zwei weitere Kreidelithographien, die grauenvoll mißgebildete Kleinkinder zeigen, mutiert durch die Auswirkungen von Radioaktivität ("Der Nachkomme"; "Nach uns die Mutation"). In den 1960er Jahren folgten Blätter, die die Zerstörung der Landschaft und die verheerenden Folgen von chemischen Pflanzenschutzmitteln und Insektiziden vor Augen bringen ("Der Fortschritt", "Tote Vögel" u.a.). Lange ehe der Begriff von "umweltkritischer" Kunst geprägt war, und noch ehe ein breiteres Bewußtsein für die Umweltproblematik in Deutschland sich entwickelt hatte, verweist Weber mit kritisch-satirischen Darstellungen dieser Art auf die Folgen der fortschreitenden Industrialisierung und Technisierung, auf die Zerstörung von Fauna und Flora; auf die Risiken der Atomenergie und der Atombewaffnung macht der Künstler aufmerksam zu dem Zeitpunkt, als darüber eben eine öffentliche Diskussion anhob.

Webers kritische Graphik zur Umweltzerstörung, die zu den frühesten Zeugnissen einer bildkünstlerischen Auseinandersetzung mit dieser Thematik im Nachkriegsdeutschland zählt und für die der "sterbende Hecht" eines der ersten und eindrücklichsten Beispiele darstellt, reicht mit ihren Wurzeln in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Sie hat ihren Ursprung in der Wandervogel-Bewegung, in die Weber - zuletzt als "Führer" im Thüringischen "Jung-Wandervogel" - aktiv eingebunden war. Bereits 1922, in dem von Hjalmar Kutzleb verfaßten und von Weber mit über hundert Federzeichnungen illustrierten Buch "Der Zeitgenosse mit den Augen eines alten Wandervogels gesehen", wird u.a. die Zerstörung der Umwelt - und im Gegenzug die Einrichtung von Naturschutzparks, von "Naturkonserven" - angeprangert. Von diesen Illustrationen eines, gleich dem Autor, nationalkonservativen ehemaligen Wandervogels führt der Weg zu umweltkritischen Blättern nach 1945, die aus anderer Perspektive, doch mit unveränderter Sensibilität die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt beleuchten.

Als Gebrauchsgraphiker und Buchillustrator, als freier Zeichner, aber auch als Maler und "Designer" arbeitete Weber, der erst in den 1920er Jahren allmählich zu einem (zunächst "rechts" orientierten) politischen Künstler avancierte. Auf dieser politischen und gesellschaftskritischen Graphik vor allem beruht Webers Bekanntheit und Rang.