Kunstwerk des Monats im August 2009
02. August 2009
"Adam und Eva (Der Sündenfall)", Lucas Cranach d.Ä., 1509
Vorgestellt von: Prof. Dr. Thomas Noll
Ein Holzschnitt (1509) von Lucas Cranach d.Ä. zeigt Adam und Eva, umringt von einer artenreichen Menagerie, im Paradies, dem Garten von Eden. Unter dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, jenem Baum, von dessen Obst zu essen den Stammeltern auf Gottes Geheiß verboten war, sitzt Adam und hält in der Rechten eine der sündhaften Früchte. Eva, neben ihm stehend, hat einen Arm um die Schultern ihres Mannes gelegt, während sie mit der erhobenen Linken ihrerseits nach einer Frucht im Geäst des Baumes langt.
Dabei geht ihr Blick augenscheinlich nicht zu diesem Obst nur, sondern zugleich auch zu der Schlange, dem Abgesandten des Teufels oder geradezu dem Teufel selbst (nach unterschiedlicher theologischer Auffassung), die dem biblischen Bericht zufolge die Frau zum Genuß der verbotenen Speise überredet (Gen 3, 1-6).
Was zunächst wie eine Situationsschilderung anmutet, wie eine Momentaufnahme kurz vor dem Sündenfall, erweist sich bei genauerer Prüfung als eine kunstvolle ‚Inszenierung’, die nicht buchstäblich genommen werden will, sondern einen Handlungsverlauf in eins zusammenzieht und damit ein Geschehen in der Zeit im ganzen zugleich veranschaulicht. Nach der (zwar nur sehr knappen) Schilderung im Buch Genesis und den daran sich knüpfenden jahrhundertelangen Anstrengungen der Exegeten vollzog sich der Sündenfall in zwei Etappen. Durch die Schlange - die, wie man meinte, mit Bedacht der leichter zu betörenden Frau sich näherte - ließ zunächst Eva sich zur Gebotsübertretung hinreißen, und zwar nach einer vielfach vertretenen Auffassung zu einem Zeitpunkt, als sie allein war.
Anschließend aß auch Adam von der Frucht, die Eva ihm gab (Gen 3, 6). Vorherrschend im späten Mittelalter war dabei die überzeugung, dass Eva durch schmeichelnde Worte ihren Mann zum Sündigen verführte und dass Adam - der den Worten der Schlange keineswegs geglaubt habe - ihr zu Willen gewesen sei, um seine Frau nicht zu betrüben. Mehr noch: Umstandslos geben zahlreiche bildliche Darstellungen der Zeit zu verstehen, dass Adam geradezu aufgrund der sinnlichen Reize Evas deren Verführungskünsten erlegen sei (was, nebenbei, theologisch unhaltbar war, da vor dem Sündenfall, wie man zu wissen meinte, keine sinnliche Begierde die Vernunft des Menschen trübte).
In diesem Lichte ist Cranachs Holzschnitt zu begreifen; zu sehen ist, wie Eva von den Einflüsterungen der Schlange sich blenden lässt; zu sehen ist zugleich auch schon, wie sie - anschaulich durch den um Adams Schultern gelegten Arm - (danach) ihren Mann zum Mitsündigen verleitet; und zu sehen ist schließlich; wie Adam zwar, angesichts der Geste seiner linken Hand, noch Gegenargumente vorbringt, doch schon eine Frucht in der Rechten hält und, während vor seinem Gesicht Evas Brüste erscheinen, zum Verzehr des Obstes sich anschickt. Entsprechend dieser Auffassung konnte Adam im späten Mittelalter als ‚Minnesklave’ und als Opfer von ‚Weiberlisten’ betrachtet werden und, als „erster Mann, den ein Weib betrog“, in eine Reihe gestellt werden mit Simson, David, Salomo und vielen anderen
Im Jahr 1509, als der Holzschnitt entstand, war der 1472 in Kronach, in Oberfranken, geborene Cranach nach einem längeren Aufenthalt in Wien seit vier Jahren als Hofmaler des sächsischen Kurfürsten in Wittenberg tätig; darauf verweisen die kursächsischen Wappen, die an einem Ast des Baumes hängen. An dessen Stamm sieht man überdies neben dem Monogramm L C und der Jahreszahl 1509 die geflügelte Schlange, wie sie das Wappen des Künstlers aufwies, das Friedrich der Weise ihm 1508 verliehen hatte. Bis zu seinem Tod 1553 sollte Cranach als Haupt einer Großwerkstatt im kurfürstlichen Dienst bleiben, als Maler von katholischen Heiligenbildern und protestantischen Glaubensallegorien, von Jagd- und Genreszenen, als Porträtist und als Schöpfer von zierlichen, geradezu seriell gefertigten weiblichen Aktfiguren, die sich als Töchter Evas (bzw. als deren antik-mythologische Schwestern) den Nachfahren Adams zu fortwährender Augenlust präsentierten.