Prof. Dr. Christoph Daxelmüller
Zauber und Wahrnehmungsästhetik – oder: Was ist islamisch an der islamischen Magie?
Vortrag von Prof. Dr. Christoph Daxelmüller, 12. Juli 2012, 18:00 Uhr, Lichtenberg-Kolleg / Historische Sternwarte
Im Koran existiert folgende Geschichte: Es heißt, Mohammed sei Opfer des Nestelknüpfens geworden, eines bereits von Platon verurteilten, im Vorderen Orient weit verbreiteten Knotenzaubers. Zudem habe ein ihm missgünstiger Zauberer eine Wachsfigur angefertigt, sie mit Nadeln durchbohrt und an einem Strick im Brunnen aufgehängt. Allah aber erschien Mohammed, offenbarte ihm die Ursachen seiner Leiden, und nachdem der Prophet einige Verse aus dem Koran gesprochen hatte, verschwanden die Einstiche im Wachs, die Knoten lösten sich auf und er wurde gesund.
Nestelknüpfen, Zauber mit Bildern und die "Zauber"kraft des heiligen Wortes – wir kennen diese Praktiken ähnlich wie den Glauben an die jettatura, den Bösen Blick, oder die abwehrende und glücksbringende Wirkung von Amuletten und Talismanen auch aus der abendländischen (christlichen) Magie. Wie diese vereint die islamische Magie verschiedene Richtungen und dennoch hat sich die westliche Kultur ein von diesem Befund völlig unterschiedliches populäres Bild vom Osten geschaffen: Inbegriff des Magiers und Astrologen, des Wahrsagers und Alchemisten ist der Orientale, der Muslim mit Turban und langem Bart, und auch die Freimaurerei bedient sich einschlägiger Symbole und einer Reihe von Ritualen voller östlicher Weisheit und Magie. Magie: Dies bezieht sich zuvorderst auf den Zauber einer im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit dem Westen weit überlegenen islamischen Kultur und Wissenschaft, deren Dynamik der passiven Gelehrsamkeit des Westens bis weit in die Neuzeit hinein diametral entgegenstand.
Im Islamischen Weltreich trafen sich die unterschiedlichsten Kulturen und kulturellen Traditionen. Zu diesen gehört nicht zuletzt die Magie. Sie bietet uns einen Begegnungsraum von westlicher und östlicher Welterfahrung, ein Modell für eine universalistische Naturphilosophie, so im arabischen "Picatrix", und schließlich einen Einblick in das alltägliche Leben.