Die Entdeckung der Höhle
In den südwestlichen Harzausläufern erhebt sich am Rande des Sösetals nahe Osterode am Harz der 261 m hohe Lichtenstein, auf dessen Kuppe sich die Überreste einer gleichnamigen mittelalterlichen Burganlage befinden. Im Jahr 1972 wurde auf der Suche nach einem Fluchttunnel, welcher von dieser Burg ins Tal herabführen sollte, eine schmale, natürliche Klufthöhle im Nordwesthang des Lichtensteins entdeckt. Der zunächst bekannte Teil der Lichtensteinhöhle war jedoch vorerst lediglich geologisch von Interesse.
Im Jahre 1980 wurde bei einer Befahrung der Höhle festgestellt, dass sich am Ende der Höhle ein verfüllter Durchgang zu weiter in den Berg hinein führenden Höhlenabschnitten befand. Nach Erweiterung dieses engen Durchgangs wurden mehrere hintereinander angeordnete Höhlenkammern entdeckt, welche die Lichtensteinhöhle schlagartig auch für die archäologische und anthropologische Forschung interessant werden ließen. In den fünf neu entdeckten Höhlenkammern fand sich unter einem Überzug aus Gipssinter nahezu flächendeckend eine Schicht aus menschlichen Knochen, durchsetzt mit Bronzeartefakten, anhand derer der Fund schnell - wenn auch vorerst relativ grob - in die jüngere Bronzezeit datiert werden konnte. Damit erwies sich der Fund als absolut herausragende Besonderheit, da die menschlichen Knochen somit aus einer Zeit stammen, in der in der Region eigentlich die Leichenverbrennung mit anschließender Beisetzung des Leichenbrandes auf sogenannten Urnenfeldern als Bestattungsmodus vorherrschte. Die unberührte Gipssinterschicht zeigte, dass der Fund seit prähistorischen Zeiten ungestört in der Höhle überdauert hatte.

Raubgräber
Die Höhle wurde vorerst in situ belassen und mit einer Stahltür gesichert. Im Jahr 1992 wurde jedoch ein Handlungsdruck erzeugt, da die Stahltür von Raubgräbern aufgebrochen wurde, welche bis in den fundführenden Teil der Höhle vordringen konnten und dort oberflächlich massive Zerstörungen verursachten und diverse Knochen und Bronzegegenstände entwendeten. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden sowohl Knochen als auch Bronzen nach einem Aufruf in der Lokalpresse vollständig wieder zurückgegeben.

Ausgrabungen und Funde
Um die Knochen und Artefakte zu sichern, wurde 1993 mit den Ausgrabungen durch die Kreisarchäologie Osterode am Harz begonnen, wofür ein seitlicher Zugangsschacht direkt in den fundführenden Teil der Höhle geschaffen wurde. Bei den Ausgrabungen, die mit einer Gesamtgrabungszeit von 50 Monaten, bis 2013 in jährlichen Kampagnen andauerten, wurden in der gesamten Höhle insgesamt 4.323 menschliche Knochen geborgen, welche weitestgehend disloziert in den Höhlenkammern verstreut lagen. Befunde wie z.B. die Armknochen eines Kindes, welche in annähernd anatomisch korrekter Anordnung aufgefunden wurden, stellen eine Ausnahme dar. Teilweise schienen die Knochen jedoch gezielt an den Höhlenwänden deponiert worden zu sein. Neben den Knochen menschlicher Herkunft wurden zudem an die 10.000 Tierknochen von Wild- und Nutztieren, ein breites Spektrum von - zumeist verkohlten - Pflanzenresten von rund 120 verschiedenen Arten, rund 2.300 Tonscherben, 215 Bronzefunde sowie eine Reihe weiterer Artefakte aus anderen Materialien geborgen.

Datierung
Anhand der Gesamtheit der Bronzefunde aus den verschiedenen Höhlenabschnitten und verschiedener, teilweise aus den Tonscherben rekonstruierbarer Keramiken konnte die Datierung genauer erfolgen und der Nutzungszeitraum der Höhle auf die Stufen Hallstatt B1 bis Hallstatt B2/3 der Jüngeren Bronzezeit eingegrenzt werden.