Exkursion nach Siegburg/ Köln
Am 13./14. Januar 2018 begab sich eine Studierendengruppe von 17 Teilnehmenden mit ihrem Dozenten Dr. Daniel Eder im Kontext des Aufbauseminars „Erzählen von Anno. Ein problematischer Heiliger im Kontext der Legendenliteratur“ (WS 2017/18) auf eine freiwillige Exkursion nach Siegburg und Köln, die dem im Zentrum des Seminars stehenden Kölner Erzbischof Anno II. (gest. 1075) gewidmet war. Dabei war es ihnen möglich, zunächst den prachtvollen Reliquienschrein des Heiligen in der Schatzkammer der Siegburger Pfarrkirche St. Servatius in Augenschein zu nehmen, der dort in einer sehenswerten Ausstellung in seinen materiellen Dimensionen umfassend aufbereitet ist (z.B. die in ihm aufgefundenen kostbaren Textilien). Sodann galt es, den exponiert in der Kölner Bucht liegenden Michaelsberg zu erklimmen, um die von Anno unter seinen Gründungen favorisierte und als Grablege bestimmte Klosteranlage St. Michael in Siegburg zu besichtigen, von der aus sein Kult bis zur Heiligsprechung 1183 in besonders engagierter Weise gefördert worden ist.Deutlich gespaltener war das Verhältnis zu dem von der eigenen Bürgerschaft als ungerecht und anmaßend empfundenen Stadtherrn in Köln, wovon das noch heute – im Parkhaus unterhalb des Doms – zu besichtigende „Annoloch“ ein beredtes Zeugnis ablegt. Nach den Osterfeierlichkeiten im Jahre 1074 reichte es nämlich der Kölner Bürgerschaft – bzw. einem besonders einflussreichen Teil derselben – endgültig: Nachdem Erzbischof Anno für seinen Gast, den Bischof von Münster, zu dessen Heimreise das Schiff eines reichen Kaufmannes akquirieren ließ, entlud sich die Wut in der Bevölkerung in Form eines ernstzunehmenden Aufstandes. Nur in höchster Not konnte Anno durch einen Fluchttunnel und einen Stadtmauerdurchlass – eben dieses „Annoloch“ – aus der Stadt entkommen, sich dann aber mit einer Schar von Verbündeten sammeln und seine Rückkehr mit Waffengewalt durchsetzen. Der so als Stadtherr restituierte Erzbischof ließ darauf nun ein drakonisches Strafgericht gegen die Anführer des Aufstandes und die mit ihnen sympathisierenden Bürger ergehen, so dass selbst Lampert von Hersfeld – trotz aller Abscheu vor den Emanzipationsbestrebungen der Kölner Bürgerschaft - konstatieren muss, dass „das Werk gerechter Rache viel ungezügelter aus[fiel], als mit dem Ruf eines so hohen Kirchenfürsten vereinbar war“ (Annalen, Ed. Holder-Egger/Schmidt 1957, S. 249).
Dies belegt wohl auch bereits der äußerst aufwendig gestaltete Leichenzug Annos vom 04. bis zum 11. Dezember 1075, der die gesamte Sakrallandschaft Kölns abschritt und so die heiligmäßige Verbindung des Erzbischofs mit „seinem“ Stadtraum über eine spatiale Praxis erst wieder herzustellen bemüht war. Diesem Begräbnisweg folgten nun auch – in einer Auswahl von Besichtigungen der diese via sacra konstituierenden Kirchenstationen (wie St. Martin, St. Maria im Kapitol, St. Georg, St. Aposteln, St. Gereon und St. Ursula) – die Teilnehmenden, um die besonderen Raumdimension dieses historischen Ereignisses erfahrbar werden zu lassen. Eine Besichtigung des – in seiner gotischen Gestalt ja deutlich nach Annos Lebzeiten geprägten, aber gleichwohl sehr imposanten – Kölner Doms schloss die Unternehmung in eindrucksvoller Weise ab, so dass alle mit dem sicheren Gefühl, dem erratischen Heiligen etwas mehr auf die Spur gekommen zu sein, über den direkt neben dem Kathedralbau gelegenen Hauptbahnhof die Heimreise nach Göttingen antraten.
Denn selbst am Vorabend, beim gemeinsamen Abendessen in einem Kölner Brauhaus, hatte sich beim Verzehr des kulinarischen Klassikers „Himmel un Ääd“ (Himmel und Erde, d.h. Kartoffelpüree mit Apfelkompott) erahnen lassen, was in der spezifisch rheinischen Genusskultur wohl heute noch unter dem Menschen als „dritte Welt“ verstanden werden kann, wie ihn der Prolog des – wohl um 1080 in Siegburg entstandenen – frühmittelhochdeutschen Annoliedes profiliert:
disi werlt ist daz eine deil,
daz ander ist geistîn. […]
duo gemengite dei wîse godis list
von den zuein ein werch, daz der mennisch ist,
der beide ist, corpus unte geist […].
Wir sulin un cir dritte werilde celin.
„Diese Welt hier ist der eine Teil, / der andere ist geistig. […] / Da mischte die kluge Kunstfertigkeit Gottes / aus beiden Teilen ein Werk, das ergab den Menschen, / der beides ist: Körper und Geist. / Wir sollen ihn als dritte Welt begreifen.“
(Annolied, 2, 6-14; Text und Übersetzung mit Modifikationen zitiert nach: Ed. Nellmann 6. Aufl. 2005 [11975], S. 6f.)
Details am Annoschrein, Schatzkammer St. Servatius in Siegburg.
Beim Erklimmen des Siegburger Michaelsbergs.
Inaugenscheinnahme des berühmten „Annolochs“ im Domparkhaus von Köln.
Auf dem Weg Richtung St. Gereon und Kölner Dom.
Köln kulinarisch: „Himmel un Ääd“ im Brauhaus.