Inklusion wird in geschichtsdidaktischen Publikationen vorwiegend für den nicht-gymnasialen Bereich diskutiert. Dabei wird Inklusion insbesondere verstanden als die Beschulung von Schüler*innen mit Behinderung, darüber hinaus aber auch in Bezug auf weitere Diversitätsdimensionen wie soziale Herkunft oder Geschlecht diskutiert.
Der geschichtsdidaktische Diskurs ist im Gegensatz dazu stark gymnasial orientiert. So soll auf Basis des Geschichtsunterrichts Geschichte als Konstrukt verstanden und im Sinne des Quellenparadigmas vor allem über die Arbeit an Quellen Geschichtsbewusstsein erlangt werden. Damit bewegen sich inklusive Überlegungen zwischen diesen elaborierten theoretischen Konzepten und Adressat*innenorientierung. In der Diskussion werden dazu geläufige Prinzipien und Methoden zur Schüler*innenorientierung wie Subjektorientierung, Handlungsorientierung, Gegenwarts- und Lebensweltbezug, Elementarisierung (z. B. Zeitkonzepte), Konkretisierung (z. B. außerschulische Lernorte) und Binnendifferenzierung stärker akzentuiert. Es besteht kein fachspezifisches einheitliches Konzept zu inklusivem Unterricht. Pragmatische Vorschläge, die sich nur auf den nicht-gymnasialen Bereich beziehen, verfolgen inhaltlich und methodisch reduzierte Unterrichtskonzepte, die vor dem Hintergrund des übergeordneten Lernziels des historischen Lernens hinterfragt werden. Gerade das Prinzip der Differenzierung kann aber auch auf den Geschichtsunterricht im Gymnasium in Bezug auf die Lernprozesse aller Schüler*innen übertragen werden.
Neben der Diskussion über Inklusion als Zielkonzeption von Unterricht und der Frage einer möglichen Gestaltung kann Inklusion mit einem Fokus auf Menschen mit Behinderung im Rahmen der disablity history als historisches Thema berücksichtigt werden (vgl. das gleichnamige Heft „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1/2 2019“).
In der aktuellen Diskussion sowie am Standort Göttingen erfährt insbesondere die Diversitätsdimension Sprache für das als „Sprachfach“ verstandene Fach Geschichte große Bedeutung. So werden fachspezifische sprachgebundene Kompetenzen im Geschichtsunterricht zum einen beim Verständnis von Quellen, die zumeist in fremder Gestalt erscheinen, verlangt. Zum anderen sollen Schüler*innen eigene Deutungen von Vergangenheit sprachlich verfassen bzw. fremde Deutungen verstehen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Daneben erfordern das Verständnis von fachspezifischen Operatoren und die Produktion davon abhängiger Sprachhandlungsmuster und Textformate wie Schreiben als historische Simulation (fach-)sprachliche Kompetenzen. Neben Bildungs- und Schulsprache sowie der Alltagssprache der Schüler*innen spielen damit auch die Sprache der Quellen und geschichtsspezifische Fachsprache als sprachliche Register im Unterricht eine Rolle.
Um diese unterschiedlichen sprachlichen Kompetenzen nicht implizit vorauszusetzen, sondern die sprachliche Heterogenität von Schüler*innen zu beachten, sollen Studierende generell für die Bedeutung von Sprachbildung im Fachunterricht sensibilisiert werden. In Bezug auf konkrete Maßnahmen für den Geschichtsunterricht können Lernmaterial und Aufgaben sprachsensibel gestaltet bzw. präsentiert werden, wobei Darstellungstexte, Quellen und Aufgaben in den Blick geraten.
In Bezug auf Darstellungs- bzw. Verfassertexte bewegt man sich bei der sprachsensiblen Aufbereitung zwischen Sachadäquatheit und Adressatenorientierung. Auf allgemeinsprachlicher Ebene kann die sprachliche Komplexität heruntergesetzt werden und der Text strukturiert präsentiert werden. Fachspezifische Hürden wie Vorausdeutungen, nicht-chronologische Darstellungen und unnötige Begriffsvarianzen sollten vermieden, Fachbegriffe geklärt und historisiert werden (Weiteres zu Begriffslernen und Begriffsarbeit vgl. Sauer 2019).
Sprachliche Anforderungen von Quellen können durch sprachliche Verständnishilfen wie Kontextualisierungen und Worterklärungen vermindert werden. Ob Quellen adressat*innenorientiert zu „barrierefreien Quellen“ in Leichter Sprache umgeschrieben werden dürfen bzw. sollten, kann in Bezug auf den historischen Wert der Quelle hinterfragt werden. So sollten Inhalte, Struktur und Positionen wiedererkennbar bleiben. Bei der Präsentation von Quellen und möglicher sprachlicher Aufbereitung sollten zudem immer die Rahmenbedingungen, insbesondere das Lernziel reflektiert werden.
Mit Aufgaben verbundene sprachbezogene Rezeption und Produktion können durch Erläuterungen der verwendeten Operatoren und intendierten Textsorten, Formulierungshilfen, aber auch systematische Übungen sprachlicher Kompetenzen unterstützt werden. Nicht nur in Bezug auf sprachliche Heterogenität können Aufgaben durch solche, die Sprache unterstützenden Aufgaben, aber auch durch verschiedene weiterführende Aufgaben und Wahlaufgaben differenziert werden, die unterschiedliche Zugänge anbieten und unterschiedliche Lernziele verfolgen.
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