Bedingungen und Merkmale der "Verschriftlichung des Lebens" in Nürnberg
Unter der strikten Kontrolle des Rates entsteht im Nürnberg des 15. Jahrhunderts Literatur, deren Vielfalt und schiere Masse von keinem anderen literarischen Zentrum im deutschsprachigen Raum des Mittelalters erreicht wird. Bei diesem Widerspruch von Reglementierung einerseits und literarischer Produktivität andererseits setzt das Forschungsvorhaben zu Bedingungen und Merkmalen der "Verschriftlichung des Lebens" in Nürnberg an. Die allmähliche Herausbildung eines Leitbildes von der eigenen "städtischen Kultur" soll als kulturkritischer Prozess des Entwerfens, Verwerfens und Etablierens von Metaphern, Motiven und Topoi beschrieben werden. Zur "Literaturexplosion" - so die Grundannahme - kommt es in Nürnberg vor allem deshalb, weil es um die Verhandlung der zentralen Frage geht, was man künftig unter dem eigenen Gemeinwesen verstehen will. Im Zentrum steht das lange vernachlässigte, hoch komplexe Corpus der subakademischen Texte, denn gerade diese Texte der sog. Handwerkerdichtung, der Laienkatechese und der Fachliteratur sind ein zentrales Erprobungsfeld städtischer Selbstentwürfe. Die Entwicklung des außerordentlich breiten Spektrums an Textsorten soll ebenso differenziert nachgezeichnet, wie deren literarische Techniken, Formen und Themen intertextuell erklärt werden. Dieser Zugriff soll den Nachweis ermöglichen, dass und wie die Texte aus der sog. Handwerkerdichtung, der Laienkatechese und der Fachliteratur in die Wirkungsgeschichte des jeweils anderen Genres eingebunden sind. Insofern in Nürnberg die Literatur der Mittelschicht (und nicht etwa die obrigkeitliche Publikation) als entscheidendes Medium der Begriffsbildung zu fassen ist, kann dieses Fallbeispiel unsere Kenntnisse zur Ausbildung eines städtischen Selbstbewusstseins in der frühen Neuzeit entscheidend ergänzen.