Interview mit Frau Böhner-Taute über Freitextfragen in E-Prüfungen
Hört man das Wort E-Prüfungen, so denkt man vermutlich zuallererst an Single-Choice-Fragen mit vier Antwortmöglichkeiten oder andere geschlossene Fragetypen, wie Lückentexte. Natürlich gibt es heutzutage auch die Möglichkeit von offenen Frageformaten in E-Prüfungen, die dann aber von einem Lehrenden korrigiert werden müssen. Dies wird von vielen Lehrenden oft als Begründung für das Festhalten an der Papier-Klausur genannt. Dabei bieten gerade auch E-Prüfungen nur mit Freitext-Fragen durchaus Vorteile, wie eine Studie von Schulz/Apostolopoulos (2010) S.38 gezeigt hat.
Informationen zur Person
- Name: Eileen Böhner-Taute
- Position: Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Sozialstrukturanalyse (Lehrstuhlinhaberin Frau Prof. Kurz)
- Lehrveranstaltung: Einführung in die Sozialstrukturanalyse moderner Gesellschaften
- Durchführungszeitpunkt der Lehrveranstaltung:
Digitales Lernen und Lehren: Guten Tag Frau Böhner-Taute, wir freuen uns sehr, dass Sie sich bereit erklären über Ihre Erfahrungen zu berichten. Fangen wir aber vorne an: Wie kamen Sie eigentlich zu E-Prüfungen?
Frau Böhner-Taute: Die Organisation der E-Prüfungen habe ich von meinem Vorgänger Jörg Hartmann übernommen, der dies vor mir gemacht hat. Er und Frau Prof. Kurz haben den ersten Schritt gemacht und sind auf Herrn Markus vom E-Learning-Service zugegangen. Gründe für diese Entscheidung waren laut Herrn Hartmann die gestiegene Prüfungslast durch größere Studentenzahlen und die Notwendigkeit die Prüfungen effizienter zu kontrollieren. Ein weiterer wichtiger Grund war die bessere Lesbarkeit der Antworten. Seit Beginn der Verwendung von E-Klausuren empfinden es alle Korrektoren nun als eine enorme Erleichterung nicht mehr diverse Handschriften entziffern zu müssen. Wenn ich an die Zeit vor vier Jahren zurück denke, als ich das erste Mal Klausuren korrigiert habe, da hatte ich wirklich nach kurzer Zeit Konzentrationsprobleme, weil ich die Handschriften einfach nicht entziffern konnte und dann wirklich zu meinem Zimmernachbarn gegangen bin und gefragt habe: "Verstehst du, was da steht? Es könnte richtig sein, aber ich kann es einfach nicht lesen!" Die Frage, die sich mir gestellt hat, war dann auch: Was soll ich in diesem Fall tun? Soll ich da einen Punkt geben oder nicht?
"Seit Beginn der Verwendung von E-Klausuren empfinden es alle Korrektoren nun als eine enorme Erleichterung nicht mehr diverse Handschriften entziffern zu müssen."
Wie oft bieten Sie die Klausur an?
Jedes Sommersemester findet die Vorlesung "Einführung in die Sozialstrukturanalyse moderner Gesellschaften" statt und dann gibt es eine Klausur einmal am Ende der Vorlesungszeit des Sommersemesters und dann wieder zum Beginn des Wintersemesters - also einmal Anfang der Semesterferien und einmal Ende der Semesterferien. Ich habe diese Veranstaltung nun dreimal betreut und Herr Hartmann einmal vor mir.
Nun stellen Sie in Ihren E-Klausuren nur Freitext-Fragen. Weshalb haben Sie sich dafür entschieden? Es gibt ja schließlich auch die Möglichkeit der geschlossenen Fragen, wie Multiple-Choice-Fragen o.Ä.
Über die Verwendung von geschlossenen Fragen in unseren Prüfungen haben wir nachgedacht - auch vor dem Hintergrund der Verringerung der Korrekturzeit - und die Möglichkeit der Anwendung in der Prüfungsordnung nachgeschaut. Nach der Prüfungsordnung ist dies auch erlaubt, aber dann haben wir uns gegen die Verwendung von geschlossenen Fragetypen entschieden. In der Soziologie geht es nämlich neben der Vermittlung von Wissen auch darum, dass Studierende das Argumentieren lernen, auch schon im ersten und zweiten Semester. In den Prüfungen gibt es zwar auch Fragen, in denen nur etwas genannt werden muss, die meisten Fragen sind aber in der Art gestellt: "Skizzieren Sie die Theorie/ Hypothesen/ Argumentationsweise z. B. von Autor XY!", und das kann man nicht mit einer Ankreuzfrage abfragen. Ein weiteres Beispiel ist die Frage: "Erläutern Sie die drei Kapitalarten nach Bourdieu." Hier soll dann auch wirklich etwas erläutert und erklärt werden. Erst durch das Lesen eines frei geschriebenen Textes der Studierenden ist es möglich zu prüfen, ob diese einen Text oder eine Theorie verstanden haben. Diese Kompetenz kann man einfach nicht mit Ankreuz-Aufgaben oder Lückentexten abprüfen.
"Erst durch das Lesen eines frei geschriebenen Textes der Studierenden ist es möglich zu prüfen, ob diese einen Text oder eine Theorie verstanden haben. Diese Kompetenz kann man einfach nicht mit Ankreuz-Aufgaben oder Lückentexten abprüfen."
Wie sind ihre Erfahrungen mit E-Prüfungen im Vergleich zu Prüfungen mit Stift und Papier?
Wenn ich das jetzt von meiner Seite aus betrachte, ist mit der Organisation einer E-Prüfung schon ein gewisser Aufwand verbunden. Man muss alle Fragen in das Prüfungssystem ILIAS einstellen, dann hat man natürlich die Kommunikation mit Herrn Markus - das läuft alles sehr gut! Früher musste man nur ein Word-Dokument öffnen und dann dort die Fragen einfach hineintippen. Dann muss man natürlich auch den E-Prüfungsraum reservieren, aber den habe ich immer bekommen. Insgesamt gesehen ist es schon ein bisschen mehr Organisationsaufwand der vor der E-Klausur anfällt, auch gerade wenn man das das erste Mal macht und sich noch nicht mit dem System und den Abläufen auskennt: Wie funktioniert ILIAS, dann wurde ILIAS umgestellt, dann sind Fragen verloren gegangen. In den Prüfungen selber, läuft aber immer alles reibungslos ab. Da sehe ich jetzt keinen großen Unterschied zur Papierform.
"In den Prüfungen selber, läuft aber immer alles reibungslos ab. Da sehe ich jetzt keinen großen Unterschied zur Papierform."
Wie reagieren die Studierenden auf Ihre E-Prüfungen?
Aus Sicht der Studierenden kann man sagen, dass diese vor der E-Klausur sehr viel aufgeregter sind und viele Fragen haben z. B.: Was ist, wenn der Computer abstürzt? Oder: Wie kann ich speichern? Da bestehen einfach immer sehr viele Unsicherheiten und es kommen dann auch immer Kommentare wie: "Ich kann doch nicht zehn Finger schreiben." Das ist immer so ein bisschen ein Problem, aber meine persönliche Meinung ist, wenn man an die Universität geht und studiert, sollte man schon vorher mal am Computer gesessen haben. Vielleicht haben diejenigen, die 10 Fingerschreiben gelernt haben, einen geringen Zeitvorteil, aber man hat gewiss genug Zeit sich mit den Fragen auseinanderzusetzen und diese zu beantworten, wenn man ordentlich gelernt hat. Auf jeden Fall ist die Probeklausur, bei der die Studierenden im E-Prüfungsraum eine Klausur proben, besonders für diejenigen, die ihre erste E-Prüfung schreiben, nützlich und zu empfehlen.
Und was sagen die Studierenden dann danach?
Wenn man nach der Klausur fragt, wie die Klausur empfunden wurde, dann sagen viele: "Ach, das war ja gut. Ich konnte alles hinschreiben. Ich hatte doch nicht so viele Probleme, wie ich dachte." Wir hatten bisher auch noch keine Beschwerden über diese Form der Prüfung.
Haben Sie irgendwelche Unterschiede in den Ergebnissen der Studierenden bei E-Prüfungen im Vergleich zu den Papier-Klausuren festgestellt?
Da gibt es keine Unterschiede.
Sie meinten gerade, dass die Organisation einer E-Prüfung mit einem gewissen Aufwand verbunden ist. Was hat Sie dann dennoch dazu bewegt eine E-Prüfung durchzuführen?
Bei uns gab es auch die Überlegung, mit der Zeit zu gehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass irgendwann alle Klausuren an der Universität als E-Klausuren geschrieben werden. Deshalb ist es gut, sich damit früh auseinanderzusetzen; dann wächst man auch mit dem Medium mit.
Des Weiteren kommt uns, mit unserer Vielzahl an Studierenden, die Möglichkeit mehrere Prüfungskohorten im E-Prüfungsraum hintereinander die Klausur schreiben lassen zu können sehr entgegen. Durch die räumlichen Gegebenheiten können die Studierenden der einen Kohorte der anderen Kohorte nicht begegnen.
"Der E-Prüfungsraum ist auf Prüfungssituationen schon sehr gut ausgerichtet worden, indem die Taschen rechts und links in die Fächer verstaut werden, die Gänge breit sind und es Sichtschutzfolien gibt."
Außerdem finde ich es sehr gut, dass die Fragen durchmischt werden können. Der eine Student beginnt dann also mit einer anderen Frage als sein Nachbar. Damit wird die Möglichkeit des Abschauens stark gemindert. Ich musste bei den E-Klausuren auch noch keinen ermahnen. Das musste ich allerdings bei den Papierversionen, als die noch in den engen Hörsälen geschrieben wurden. Da habe ich schon mal jemanden mit einem Zettel erwischt. Der E-Prüfungsraum ist auf Prüfungssituationen schon sehr gut ausgerichtet worden, indem die Taschen rechts und links in die Fächer verstaut werden, die Gänge breit sind und es Sichtschutzfolien gibt.
Wie lange brauchen Sie ca. für die Auswertung?
In der Regel fangen wir noch am gleichen Tag mit den Korrekturen an und wir sind dann - je nach Wochentag, an dem die Klausur stattfand - bestenfalls 2-3 Tage später fertig. Das kommt dann natürlich noch drauf an, ob da in der Woche noch irgendein Workshop ist, oder eine Tagung. Ich würde mal sagen, dass wir nach anderthalb Wochen dann spätestens fertig sind. Also ich würde sagen, wir brauchen ein Drittel oder ein Viertel der Zeit weniger, im Vergleich zu einer Stift-Papier-Klausur.
Nach ihren Erfahrungen, würden Sie denn anderen Lehrenden zu E-Prüfungen raten?
Ich würde immer anderen Lehrenden zu E-Prüfungen raten. Ja, ich finde einfach, dass es die Form der Zukunft des Klausurenschreibens ist. Also mir macht es auch Spaß mit ILIAS zu arbeiten. Die Kommunikation mit dem E-Learning-Service und Herrn Markus klappt immer super. Ja, also ich würde es nur weiterempfehlen!
"Ich würde immer anderen Lehrenden zu E-Prüfungen raten."