Nachfolgend finden Sie die Pressemitteilung des BMEL vom 7. Juni 2019:
Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU für eine Verwaltungsvereinfachung nutzen!
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat am 6. Juni 2019 seine Stellungnahme „Möglichkeiten, Ansatzpunkte und Grenzen einer Verwaltungsvereinfachung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU“ an Bundesministerin Julia Klöckner (BMEL) übergeben. Prof. Harald Grethe, Vorsitzender des Beirats: „Die in Kürze auf EU-Ebene anstehenden Entscheidungen zur GAP nach 2020 und deren Umsetzung in Deutschland sollten als Chance genutzt werden, die Verwaltungsbelastung durch die GAP auf ein angemessenes Maß zu reduzieren. Hierfür ist aber mehr notwendig, als nur an einzelnen Symptomen der Verwaltungskomplexität anzusetzen.“
Zu kaum einer anderen Forderung zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) besteht ein derart breiter Konsens zwischen den Beteiligten wie bei der nach einer Verwaltungsvereinfachung. „Die bisherigen Ansätze zur Vereinfachung im Rahmen der Reformen der GAP in den letzten Jahrzehnten haben jedoch nicht nur keine erkennbare Wirkung entfaltet“, so Prof. Dr. José Martínez, federführender Autor der Stellungnahme. „In vielen Bereichen haben sich die Komplexität und die Kosten für die Umsetzung und die Kontrolle der GAP sogar erhöht.“ Eine Vereinfachung ist daher dringend geboten.
Die GAP ist durch eine Vielfalt an Zielen und ein differenziertes Instrumentarium gekennzeichnet und daher notwendigerweise komplex. Darüber hinaus tragen jedoch auch das Fehlen einer kontinuierlichen Gesetzgebung und daraus resultierend die unübersichtliche und sich mit jeder neuen Förderperiode grundsätzlich ändernde EU-Rechtslage zu ihrer Komplexität bei. Hinzu kommt die unangemessen strenge Auffassung des EU-Parlamentes und des EU-Rechnungshofes über die ordnungsgemäße Mittelverwendung (maximal tolerierte Fehlerquote von 2 %). Diese strenge Handhabung der Haushaltsdisziplin hat ein umfassendes, redundantes Kontrollsystem mit unverhältnismäßigen Sanktionen zu Lasten der Mitgliedstaaten (Anlastungsrisiko) und der Zuwendungsempfänger zur Folge.
„Mit dem ‚neuen Umsetzungsmodell‘ bieten die Legislativvorschläge der EU-Kommission für die GAP nach 2020 das Potenzial für einen Paradigmenwechsel. Ob die Umsetzung der Vorschläge tatsächlich zu einer Verwaltungsvereinfachung führen würde, ist noch völlig offen“, so Prof. Peter Weingarten, der zweite federführende Autor des Gutachtens. „Wir befürchten, dass das neue Umsetzungsmodell ohne grundlegende Veränderungen der administrativen Rahmenbedingungen nur zu einer Verlagerung der Verwaltungslast von der EU auf die Mitgliedstaaten führen wird.“
Der Beirat fordert daher grundlegende Veränderungen, die bei den Ursachen ansetzen. Um die Verwaltungsbelastung auf ein angemessenes Maß zu reduzieren, empfiehlt der Beirat:
- Derzeitige Misstrauenskultur langfristig durch eine gemeinsame Verwaltungskultur von EU und Mitgliedstaaten ersetzen: Die Verwaltungskooperation zwischen EU und Mitgliedstaaten setzt grundsätzlich eine gemeinsame Verwaltungskultur der Beteiligten voraus. Nur dann ist eine Reduktion der bestehenden Komplexität der Kontrollinstrumente möglich. Das Sanktionssystem sollte durchweg nach der Schwere und Intentionalität des Verstoßes abgestuft werden.
- Allgemeine Regelungen zu den Verfahren der GAP entfristen: Die Schaffung von über die Dauer einer Förderperiode hinaus fortwirkenden Regelungen zu den Verfahren der GAP würde die Rechtssicherheit erhöhen und dadurch die bestehenden Verfahren vereinfachen.
- EU‐Durchführungsbestimmungen zur GAP reduzieren, kodifizieren und rechtzeitig vorlegen: Eine Reduzierung und systematische Zusammenfassung der für die gesamte GAP geltenden europäischen Durchführungsbestimmungen in ein einheitliches Gesetzeswerk würden zur Herausbildung einer Verwaltungs‐, Gerichts- und Wissenschaftspraxis und damit zu mehr Handlungssicherheit führen. Sämtliche Rechtsbestimmungen sollten rechtzeitig vor Beginn einer neuen Förderperiode vorliegen.
- EU-Recht national nur in begründeten Fällen verwaltungsaufwendiger umsetzen: Die nationale finanztechnische Umsetzung einschließlich der Kontrolle sollte möglichst nicht verwaltungsaufwendiger erfolgen, als es das EU-Recht vorgibt. Wenn der Bund oder die Bundesländer Fördermaßnahmen anspruchsvoller programmieren wollen, um eine höhere Zielgenauigkeit und ‑erreichung zu realisieren, ist abzuwägen, inwieweit dies einen höheren Verwaltungsaufwand rechtfertigt.
- Leistungsabschlüsse und -überprüfungen anhand geeigneter Indikatoren vornehmen statt Regelkonformität der Ausgaben nachzuweisen: Die Mitgliedstaaten sollten der EU nicht mehr die Regelkonformität der Ausgaben nachweisen, sondern Leistungsabschlüsse und -überprüfungen auf der Grundlage geeigneter Indikatoren einreichen müssen. Sollte die EU an dem Nachweis der Regelkonformität der Ausgaben festhalten, sollte die zulässige Fehlerquote von derzeit 2 % erhöht werden.
- Mitgliedstaatliche Verwaltungskosten berücksichtigen und reduzieren: Die EU sollte bei der Prüfung der Effizienz der Kontrollinstrumente die Kontroll- und Sanktionskosten der mitgliedstaatlichen Verwaltungen einbeziehen. Bund und Bundesländer sollten die bestehenden nationalen Vorgaben an das agrarspezifische Verwaltungsverfahren anpassen, aber auch die allgemeinen Vorgaben des Zuwendungsrechts und der Haushaltsordnungen auf ihre Erforderlichkeit überprüfen.
- Single-Audit-System einführen: Auf der Ebene der Verwaltungsorganisation sollte ein Single‐Audit‐System eingeführt werden.
- Durch angemessene Bagatellgrenzen Verwaltungsaufwand reduzieren: Geringfügige Rechtsverstöße, die nur eine vergleichsweise geringe Finanzwirkung haben, und geringfügige Flächenabweichungen sollten als Bagatellverstöße gewertet werden.
- Digitale Technologien verstärkt nutzen: Maßnahmengestaltung, -beantragung, -bescheidung und -kontrolle sollten stärker als bisher bestehende Daten sowie digitale Technologien nutzen. Dies gilt insbesondere für flächenbezogene Maßnahmen.
- Vertrauensgrundsatz im Vergleich zum Gesetzmäßigkeitsprinzip aufwerten: Die bisherige Nachrangigkeit des Vertrauensgrundsatzes im Verhältnis zum Gesetzmäßigkeitsprinzip sollte durch einen abgewogenen Ausgleich zwischen beiden Grundsätzen modifiziert werden.
Bei der Übergabe betonte der Vorsitzende des Beirats, Prof. Harald Grethe: „Eine stärkere Zielorientierung der GAP, wie sie von der Europäischen Kommission zu Recht angestrebt wird, braucht effiziente und transparente Verwaltungsverfahren, die der staatlichen Verwaltung und den Zuwendungsempfängern Rechtssicherheit und damit Planungssicherheit vermitteln. Die Verwaltungsvereinfachung darf daher nicht weiter aufgeschoben werden.“
Ansprechpartner:
- Prof. Dr. Harald Grethe (Vorsitzender des Beirats), Tel. 030 2093 46810, grethe@hu-berlin.de
- Prof. Dr. José Martínez (Federführung), Tel. 0551 39 27415, iflr@uni-goettingen.de
- Prof. Dr. Peter Weingarten (Federführung), Tel. 0531 596 5501, peter.weingarten@thuenen.de
- Dr. Julia C. Schmid (wiss. Mitarbeiterin des WBAE), Tel. 030 2093 46822, j.c.schmid@hu-berlin.de
Download der Stellungnahme:
Informationen zum Beirat:
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) ist interdisziplinär besetzt und unterstützt das Ministerium bei der Entwicklung seiner Politik in diesen Bereichen. Das Gremium arbeitet unabhängig und erstellt auf ehrenamtlicher Basis Gutachten und Stellungnahmen.http://www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Beiraete/_Texte/AgrOrganisation.html.