Presseinformation: Seltsames Verhalten eines Sterns
Nr. 12/2018 - 17.01.2018
Forscher entdecken erstmals inaktives Schwarzes Loch in einem Kugelsternhaufen
(pug) Ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Universität Göttingen hat erstmals ein inaktives Schwarzes Loch im Herzen eines Kugelsternhaufens entdeckt. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fiel das seltsame Verhalten eines Sterns auf, der offenbar ein unsichtbares Schwarzes Loch mit etwa der vierfachen Masse der Sonne umkreist. Bei der Entdeckung handelt es sich gleichzeitig um das erste inaktive Schwarze Loch, das durch den direkten Nachweis seiner Anziehungskraft gefunden wurde. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society erschienen.
Kugelsternhaufen sind riesige, kugelförmige Ansammlungen von Zehntausenden von Sternen, die die meisten Galaxien umkreisen. Sie gehören zu den ältesten bekannten Sternsystemen im Universum und gehen auf den Beginn des Wachstums und der Evolution von Galaxien zurück. Zurzeit sind mehr als 150 Kugelsternhaufen bekannt, die zur Milchstraße gehören. Die Forscher untersuchten mithilfe des MUSE-Instruments am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile den Sternhaufen NGC 3201 im südlichen Sternbild Vela. Dabei fiel ihnen auf, dass sich einer der Sterne merkwürdig verhält: Er wird mit Geschwindigkeiten von mehreren hunderttausend Kilometern pro Stunde hin und her geschleudert, wobei sich dieses Muster alle 167 Tage wiederholt.
„Der Stern umkreiste etwas vollkommen Unsichtbares, das eine Masse hatte, die mehr als vier Mal so groß war wie die Sonne – das konnte nur ein Schwarzes Loch sein“, erläutert Benjamin Giesers, Doktorand am Institut für Astrophysik der Universität Göttingen und Erstautor der Studie. Das MUSE-Instrument der ESO, an dessen Konstruktion und Bau die Universität Göttingen durch eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung maßgeblich beteiligt war, bietet Astronomen die einzigartige Möglichkeit, die Bewegungen von tausenden von weit entfernten Sternen gleichzeitig zu messen. Die Masse des Schwarzen Lochs ergründeten die Forscher erstmals allein aufgrund der Bewegungen des Sterns, der in der enormen Gravitationskraft des Schwarzen Lochs gefangen ist.
Die Beziehung zwischen Schwarzen Löchern und Kugelsternhaufen ist bedeutsam, aber auch geheimnisvoll: Aufgrund ihrer großen Massen und ihres hohen Alters geht man davon aus, dass diese Sternhaufen eine große Zahl von Schwarzen Löchern mit stellaren Massen erzeugt haben. Sie entstehen im Laufe des langen Lebens der Sternhaufen immer dann, wenn massereiche Sterne explodieren und die Überreste in sich zusammenfallen. „Bis vor kurzem dachte man, dass fast alle Schwarzen Löcher nach kurzer Zeit aus dem Kugelsternhaufen verschwinden und dass solche Systeme gar nicht existieren“, so Giesers. „Unsere Entdeckung hilft nun, die Entstehung von Kugelsternhaufen und die Entwicklung von Schwarzen Löchern und entsprechenden Binärsystemen nachzuvollziehen, was auch für das Verständnis der Quellen von Gravitationswellen unerlässlich ist.“
Originalveröffentlichung: Benjamin Giesers et al. A detached stellar-mass black hole candidate in the globular cluster NGC 3201. Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 2018. Doi: 10.1093/mnrasl/slx203.
Kontakt:
Benjamin Giesers
Georg-August-Universität Göttingen
Fakultät für Physik
Institut für Astrophysik
Telefon (0551) 39-5045
E-Mail: giesers@astro.physik.uni-goettingen.de
Prof. Dr. Stefan Dreizler
Georg-August-Universität Göttingen
Fakultät für Physik
Institut für Astrophysik
Telefon (0551) 39-5041
E-Mail: dreizler@astro.physik.uni-goettingen.de
Internet: www.uni-goettingen.de/de/216891.html