Theodor Fontane: Aus England. Studien und Briefe über Londoner Theater, Kunst und Presse. Große Brandenburger Ausgabe. Das kritische Werk, Band 1


Theodor Fontane plante den Band »Aus England. Studien und Briefe über Londoner Theater, Kunst und Presse«, während er in offizieller Mission in London lebte und arbeitete. Als Presse-Agent der preußischen Regierung versorgte er von September 1855 bis Januar 1859 verschiedene heimische Zeitungen mit Berichten über außenpolitische Ereignisse, Innenpolitik, englische Presse und Londoner Leben. Das Unterfangen, ausgewählte Artikel dieser Zeit zunächst in einer losen Folge zu publizieren, um sie dann zu sammeln und in Buchform herauszugeben, hat mit seinem Wunsch zu tun, der Flüchtigkeit von Zeitungstexten eine Buchausgabe entgegenzusetzen und »in Achtung gebietender Korpulenz vor das Publikum zu treten« (Brief an Henriette von Merckel, 30. April 1858).

Nach »Ein Sommer in London« (1854) und »Jenseit des Tweed« (1860) konzentrierte sich Fontane in »Aus England« auf die englische Theater-, Kunst- und Medienszene. Diesem Schwerpunkt entsprechend erscheint der Band 1860 bei Ebner & Seubert in Stuttgart, einem Verlag, der eigentlich auf kunsthistorische Schriften spezialisiert ist.

Die ausgewählten Artikel ordnet Fontane in vier große Abschnitte: »Die Londoner Theater. (Insonderheit mit Rücksicht auf Shakespeare)«, »Aus Manchester«, »Die Londoner Wochenblätter« und »Die Londoner Tagespresse«. Aus einzelnen Beiträgen wird schnell klar, dass Fontane nicht einfach im Stil eines Auslandskorrespondenten schreibt, sondern als professioneller Medienbeobachter und -praktiker auf die englische Scene schaut. Ihn interessiert also nicht nur, was produziert, gezeigt, gedruckt und gelesen wird, sondern vor allem auch wie. So fragt Fontane sich beispielsweise angesichts der Bildermassen der »Art Treasures Exhibition« in Manchester einerseits, nach welchen Prinzipien hier ausgestellt wird; andererseits entwickelt er in seinem Schreiben Verfahren, die dem gewaltigen Bilderstrom der monumentalen Ausstellung gerecht werden können. Diese ständig mitlaufende Medienreflexion setzt seine Texte vom typischen Reisefeuilleton ab und verleiht ihnen über die beschriebenen Einzelphänomene hinaus Relevanz.

Noch auf einer weiteren Ebene wirkt sich die Medienreflexion des Praktikers aus: Fontane denkt beim Schreiben ständig an sein (Berliner) Publikum und an die Frage, wie seine Texte zuhause aufgenommen werden. Der Vergleich England – Deutschland ist ein konstantes Thema, ganz gleich, ob es um Meinungsfreiheit, Theaterspielpläne oder Stil und Finanzierungsmodelle der penny press geht. Die Differenz Fremdes/Eigenes wird inszeniert und unterminiert; durch die Übernahme literarischer Vorlagen, Muster und etablierter Topoi wird das Fremde im deutschen Zeitungsdiskurs anschlussfähig gemacht. Fontanes Berichte entwerfen somit nicht nur ein differenziertes Bild der englischen Medienszene, sondern geben Auskunft darüber, wie sich der Autor selbst in der heimischen Medienlandschaft verortet.

»Aus England« in der Großen Brandenburger Ausgabe


Innerhalb der Großen Brandenburger Ausgabe eröffnet der Band die Abteilung »Das kritische Werk«. Im Unterschied zu allen anderen postumen Ausgaben wird der Text nicht nur in seiner historischen Orthographie ediert; die Feuilletons werden nunmehr auch erstmals wieder in der von Theodor Fontane angelegten Abfolge unter dem Titel »Aus England. Studien und Briefe über Londoner Theater, Kunst und Presse« als Sammelband veröffentlicht. So wird es möglich sein, die Einzelbeiträge in ihrem autorisierten Zusammenhang zu lesen. Wie alle anderen Bände der Großen Brandenburger Ausgabe soll ein groß angelegter Kommentar über die Entstehungsgeschichte, die Rezeption und die Überlieferung informieren sowie in einem Stellenkommentar die wesentlichen historischen und zeitgenössischen Anspielungen herausarbeiten. Personen- und Ortsregister runden die Neuedition ab.

(Petra McGillen)