Evolution von Mechanismen der embryonalen Kopfentwicklung
Durch die Isolierung und Charakterisierung Kopf-spezifischer Gene zweier verschiedener, zu Drosophila wenig verwandter Arthropodenarten wird untersucht, ob die Mechanismen der Kopfentwicklung phylogenetisch konserviert sind. Dazu verwenden wir den Reismehlkäfer T. castaneum (Tenebrionidae, Coleoptera, Insecta) und den marinen Flohkrebs Parhyale hawaiensis (Hyalidae, Amphipoda, Crustacea). Zum einen werden Homologe zu bereits bekannten Kopf-spezifischen Genen identifiziert und funktionell analysiert. Zum anderen sollen durch Insertions-Mutagenese und "Enhancer-Detektion" Kopf-spezifische Mutationen bzw. Kopf-spezifisch exprimierte Gene isoliert werden. Da mit diesem Ansatz auch Genaktivitäten identifiziert werden können, die keine äquivalente Funktion in Drosophila tragen, sollte so die phylogentische Konservierung von Kopfentwicklungs-prozessen überprüft werden können. Die Identifizierung von neuartigen Genaktivitäten würde auf eine evolutionäre Divergenz in Kopfentwicklungsprozessen unterschiedlicher Arten hinweisen. In chemischen Mutagenesen an T. castaneum konnten z.B. Paar-Regel-Genaktivitäten im Kopf gefunden werden, obwohl von Drosophila entsprechende Aktivitäten nicht bekannt sind. Die Isolierung von chemisch gesetzten Mutationen stellt jedoch ein erhebliches Hindernis zur raschen Identifizierung der entsprechenden Gene dar. In Zukunft sollen daher entsprechende Gene mit Hilfe von Insertions-Mutagenesen identifiziert werden. Das Springen von Transposons kann Mutationen hervorrufen und dabei die betroffenen Gene markieren, was deren Klonierung und Charakterisierung erleichtert. Durch Verwendung eines Reportergens innerhalb des Mutator-Transposons, können Gene identifiziert werden, die während bestimmter Entwicklungsprozesse aktiv sind ('Enhancer-Detektion'). Durch den Einsatz des rotfluoreszierenden DsRed, sowie der cyanfarbenen (ECFP) und gelbgrünen (EYFP) Spektralvarianten von EGFP haben wir unabhängige Markersysteme entwickelt (Horn & Wimmer 2000; Horn et al., 2002). Mit deren Hilfe konnten wir komplexe, genetische Multikomponentensysteme für die Insertions-Mutagenese konstruieren (Horn et al., 2003; Häcker et al., 2003), die nun in verschiedenen Nicht-Modellorganismen eingesetzt werden kann. Eine Transposon-Mutagenese am Reismehlkäfer T. castaneum wird in Kollaboration mit PD. Dr. Klingler durchgeführt. Isolierte Genaktivitäten, die spezifisch die Kopfentwicklung betreffen, werden von meiner Arbeitsgruppe charakterisiert werden. Unabhängig von der Transposon-Mutagenese werden wir die Funktion von Genhomologen bereits bekannter Kopf-spezifischer Gene in T. castaneum und P. hawaiensis (Kollaboration mit Prof. Ph.D. Patel, University of Chicago, und Dr. Averof, Heraklion, Kreta) untersuchen. Dazu werden entsprechende Genhomologe in Tribolium und Parhyale durch Homologie-Durchmusterungen isoliert und deren Funktion durch Doppelstrang-RNA-vermittelte Genstilllegung (RNAi) analysiert werden. Dass diese Technik bei Tribolium funktioniert, konnte unter anderem in der kollaborierenden Arbeitsgruppe von PD. Dr. Klingler demonstriert und deren Anwendung verbessert werden. Für Parhyale konnte die kollaborierende Arbeitsgruppe von Prof. Ph.D. Patel erste Erfolge sowohl mit RNAi als auch der Morpholino-Technik verzeichnen. In meiner Arbeitsgruppe wird derzeit das für Drosophila vorgestellte Verfahren der Geninaktivierung mittels homologer Rekombination auf unsere universellen Transgenese-Vektoren angepasst, um diese Technologie auf ein breites Spektrum verscheidener Arthropodenarten anwenden zu können. Zudem testen wir für Drosophila etablierte binäre Expressionssysteme auf ihren Einsatz in Nicht-Modellorganismen. Damit können Gene eines bestimmten Entwicklungsprozesses mittels gesteuerter Expression auf ihre Funktion überprüft werden. Da während der Embryogenese von Tribolium und Parhyale ein funktionaler Kopf entsteht, der bereits adulten Strukturen ähnelt, stellt ihre Analyse einen Vorteil gegenüber Drosophila dar. Bei Drosophila endet die Embryonalentwicklung in einer stark abgeleiteten, azephalen Larvae, was zum einen die Analyse der Kopfstrukturen erschwert, zum anderen aber auch vermuten lässt, dass die zugrunde liegenden, identifizierbaren Mechanismen stark angepassten Charakter haben könnten. Eine vergleichende, funktionelle Analyse der Prozesse der Kopfentwicklung in einer Serie von wenig verwandten Arthropoden wird es uns erlauben festzustellen, welche Mechanismen evolutionär konserviert sind, und welche Mechanismen sich durch Umweltanpassungen Gruppen-spezifisch abgewandelt haben oder neu entstanden sind. Da Kopfstrukturen und -segmente von Insekten und Krustazeen gut homologisierbar sind, wird die vergleichende Studie Rückschlüsse auf die Phylogenie der Kopfentwicklung über einen Zeitraum von etwa 450 Mio. Jahren erlauben.