Fontanes Nachruf auf Botho von Hülsen
Nachruf für Botho von Hülsen
[Gestorben am 30. September 1886]
In Anschluß an die biographische Skizze: Botho v. Hülsen in unserm gestrigen Abendblatte widmet unser Referent für die königl. Theater Th. F. dem Heimgegangenen folgenden Nachruf: ». . . Bis zuletzt haben ihn die Fragen und Sorgen seines Amtes beschäftigt. Er war eine Arbeitskraft, und wenn diese nachlassen wollte, stählte sie sich in dem Gefühl der Pflicht. Er hat seines Amtes in seltener Treue gewaltet und dieser Treue hat die Liebe nicht gefehlt. Freilich, in zurückliegender Zeit waren ihm auch Feinde beschieden, »viel Feind’, viel Ehr’«, aber diese Feindschaften erloschen allmählich, nicht blos weil man einen Wandel der Dinge nahe glaubte, sondern weil man seine durch viele Jahre hin bekämpfte Verwaltung mehr und mehr in einem anderen Lichte zu sehen begann. Man sah sich plötzlich der Frage gegenüber: »ja, was ist denn überhaupt versäumt worden?« und gestand sich kein anderes Versäumen und Unterlassen finden zu können, als Ablehnung gegen eine bestimmte Gruppe französischer Dramen, über deren Werth von Hülsen anderer Ansicht als die Tagesmeinung war. »Ich seh’ es, als den Hauptvorzug meiner Verwaltung an, an diesen Stücken vorbeigegangen zu sein«, ein viel angefochtenes Wort, in dem er schließlich, wie mit so vielem was ihm sein bon sens eingab, im Rechte bleiben dürfte. Nicht der heikle Stoff als solcher, sondern das je ne sais quoi, das der Mehrzahl dieser Dramen eigen ist, war es, was ihn zum Widerspruch bestimmte. Die Luft, der Geist, die Gesinnung dieser Stücke schufen seine Gegnerschaft und schon heute werden ihrer nicht allzu viele sein, die geneigt sein möchten, ihm in seiner Opposition schlechtweg Unrecht zu geben. Gegen diese französische Richtung und ihre deutsche Gefolgschaft hat er Front gemacht, aber wohl läßt sich fragen: gegen wen sonst noch unter den heimischen Talenten der letzten drei Jahrzehnte? Hebbel, Otto Ludwig, Gustav Freytag, Albert Lindner, Brachvogel, Heyse, Geibel, Wilbrandt, Wildenbruch, Gottschall, Jordan, G. v. Moser, Wichert, Lindau, Lubliner, Gensichen, Genée, Klapp – Alle sind gegeben worden und fünfzig, um nicht zu sagen hundert andere, mit ihnen. An wem wäre man grundsätzlich oder gar aus Laune vorübergegangen? Nicht einmal Aengstlichkeit nach der Seite des Politischen hin wird ihm vorgeworfen werden können. Freilich ein Hoftheater ist kein Tummelplatz für sozial-demokratische Probleme. Hinfällig sag’ ich, ist der Vorwurf, daß die deutsche dramatische Dichtung unter v. Hülsens Bühnenleitung jedes Ansporns entbehrt hätte, hinfällig nicht minder jene zweite Klage, daß die darstellenden Kräfte schwach und unausreichend gewesen wären. Man vergleiche nur die Namen unsrer gestrigen Skizze. Döring, Dessoir, Berndal, Niemann, die Lucca, die Mallinger, die Frieb – wo sind bessere! Botho v. Hülsen war ein Mann von Takt, Einsicht, Urtheil, dazu schließlich von einer allerreichsten Erfahrung, seine größte Kraft aber lag nach der Gemüths- und Charakterseite hin. In den ersten Jahren seiner Amtsführung als brüsk und schroff oder doch mindestens als eine herbe Natur angesehen, barg sich hinter dieser anscheinenden oder gelegentlich vielleicht auch wirklichen Herbheit ein seltener Schatz von Herz und Wohlwollen und nicht viele leben unter uns, auf die das Göthische Wort: »edel sei der Mensch, hilfreich und gut« so ganz gepaßt hätte, wie auf ihn. Allem Kleinlichen abgewandt, waren ihm Neid und Niedrigkeit verhaßt. Eitelkeit und Intrigue, diese Grund- und Erbfehler aller Theaterleute, durften nicht an ihn heran und weil sie kein Gehör und noch weniger ein immer bereites Feld in seiner Seele fanden, so beschieden sie sich schließlich und erlahmten in ihrer bösen Lust. Botho v. Hülsen gehörte zu den Beneidenswerthen, die durch ihre Persönlichkeit erzieherisch wirken, einfach dadurch, daß sie da sind. Er hat nach dieser Seite hin das Theaterleben auf eine höhere Stufe gehoben und wenn angesichts dieser nicht wegzuleugnenden Thatsache gelegentlich versichert worden ist, daß das Genie dem Zwang und vor allem der Unterordnung widerstrebe, so widersprech’ ich dem und nenne die Namen derer, die, sei’s in Leben oder Kunst, den Stolz unserer Nation bilden. Ordnung schafft kein Genie, aber das Genie, das dem Gesetze gehorcht, verdoppelt seine Kraft und vervierfacht seinen Segen. Aus diesem Gefühl und später dann aus der entsprechenden gefesteten Ueberzeugung heraus, hat Botho v. Hülsen seine Verwaltung geführt, die nicht schöner charakterisirt werden kann, als in dem Nachruf, der ihm im heutigen Morgenblatte seitens der Angehörigen der königlichen Theater in Berlin gewidmet worden ist. Es heißt darin: »Seine 35jährige erfolgreiche, oft unter den schwierigsten Verhältnissen bewährte Leitung der Kgl. Theater, seine unermüdliche Thätigkeit, seine unerschütterliche Pflichttreue, sein strenger Gerechtigkeitssinn, seine unerschöpfliche Herzensgüte der Noth gegenüber, sichern ihm in der deutschen Bühnenwelt und weit über den Kreis derselben hinaus eine hervorragende Bedeutung. Wir aber, die wir dem Verblichenen dienstlich nahe standen, empfinden tief die ganze Schwere des Verlustes und werden nie aufhören, dem theueren Entschlafenen mit dankerfülltem Herzen ein unvergängliches Andenken zu bewahren.« »Das sind nicht blos klingende, das sind gefühlte Worte, wahr und schlicht, wie der war, an den sie sich richten. Ja, wahr und schlicht war sein Leben und so war auch das Wort, mit dem er aus dem Leben schied. »Es wird wohl nichts mehr werden mit mir.« Etwas Wunsch und Hoffnung mischt sich noch in das Bereit- und Ergebensein und rührt in seiner schönen Menschlichkeit. Ein Mensch, ein Mann ist in ihm heimgegangen.
– Die aufgebahrte Leiche Herrn von Hülsen’s zog auch heute eine Masse von Leidtragenden an. Der Sarg ist mit Blumen, Kränzen und Palmen völlig bedeckt. Ein mächtiger Palmenwedel mit Atlasschleife trägt die Inschrift »Richard und Marie Kahle in dankbarer Erinnerung«; ein gleicher von Ludwig Fränkel die Widmung: »aus innerster Dankbarkeit«; »Ihrem unvergeßlichen Ehrenmitgliede Botho von Hülsen die Halluncia«, ist der Text einer Schleife mit Palmwedel, welche der bekannte Verein übersandt hat. Kostbare Widmungsschleifen trugen auch die Kränze, welche das Deutsche Theater, Leopoldine Stollberg und Kommissionsrath Fränkel dem Dahingeschiedenen gewidmet haben. Unzählige gleiche Widmungen sind unter der Fülle der Blumen und Kränze begraben. Die Leiche wird voraussichtlich noch heute und morgen aufgebahrt bleiben. Während dieser Zeit findet eine Trauerfeier im Hause nur für die Familie statt. Dann soll morgen Abend die Ueberführung der Leiche in aller Stille, nur von den allernächsten Familienmitgliedern begleitet, nach der Invalidenkirche erfolgen. Der Zutritt zu der nur etwa 600 Personen fassenden Kapelle des Kirchhofes wird nur den nächsten Leidtragenden und den Spitzen der Staats- und städtischen Behörden gestattet. Den übrigen Leidtragenden wird der Kirchhof geöffnet. – Ueber die Nachfolge Herrn von Hülsen’s bemerkt die »B. B.-Z.«: Da man in der letzten Zeit in Hofkreisen immer lebhafter die völlige Wiederherstellung von Hülsen’s bezweifelte, so hat der Kaiser sicher bereits die geeignete Persönlichkeit im Auge und der nächste Tag kann uns die Ernennung des neuen Intendanten bringen. Immerhin ist es bemerkenswerth, daß der Kaiser zu dem General-Intendanten, als dieser sich nach dem ersten Anfall erholt und zur Audienz begeben hatte, voll Leutseligkeit und mit wenig Worten Vielsagendes äußernd, meinte: »Seien Sie gesund, Hülsen, ich wünsche keine Aenderung mehr zu erleben!« Schreiber dieser Zeilen hat den Wortlaut vom nun Verstorbenen selbst erfahren.«
Theodor Fontane: Nachruf für Botho von Hülsen. In: Vossische Zeitung. Berlin. Nr. 458, 1. Oktober 1886, Abendausgabe, Beilage.