Titel des Projekts:
Rhetorik oder Realität? Ökologische Modernisierung als regulative Idee in der Umweltpolitik. Eine vergleichende Untersuchung der Chemikalienregulation in Deutschland, Großbritannien und den USA.
Obwohl das Konzept der "nachhaltigen Entwicklung" keinesfalls neu ist, erlebt es seit den 1980er Jahren einen beachtlichen Aufschwung. Im umweltpolitischen Diskurs der Industriegesellschaften wird nachhaltige Entwicklung im Paradigma der "ökologischen Modernisierung" interpretiert. Im Kern erkennt diese Perspektive den strukturellen Charakter von Umweltproblemen an, geht zugleich aber davon aus, dass die bestehenden politischen, ökonomischen und sozialen Institutionen in der Lage sind, die Umweltkrise zu bewältigen. Die Diagnose vom ökologischen Defizit der Industriegesellschaft wird damit in ihr Gegenteil verkehrt: Ökonomie und Ökologie gelten nicht mehr als Gegensätze, vielmehr sollen sie in der Art eines Positivsummenspiels zugleich verwirklicht werden. Eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung dieses Konzeptes kommt den sog. ‚sauberen’ Technologien zu. Technologische Innovationen schaffen die Voraussetzung, wirtschaftliches Wachstum von Umweltverschmutzung und steigendem Ressourcenverbrauch abzukoppeln und auf diese Weise die ökologische Krise zu überwinden. Dieser technokratische Ansatz allerdings verstellt den Blick auf das unter dem Paradigma ökologischer Modernisierung gleichermaßen verfolgte ‚soziale’ Projekt, das im Mittelpunkt dieser Arbeit steht. Ökologische Ziele sollen in das Handeln der gesellschaftlichen Akteure und Institutionen integriert werden, insbesondere durch die Anwendung einer "neuen" Generation umweltpolitischer Instrumente. Eine umweltgerechte Gesellschaft soll demzufolge erreicht werden durch die Integration von Umweltbelangen in andere gesellschaftliche Ziele, etwa die Schaffung von Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum und soziale Kohäsion.
Während auf der Ebene der Rhetorik diese Idee generell akzeptiert zu sein scheint, erweist sich ihre Umsetzung in die Praxis als spannungsreich und konfliktbeladen. Die Untersuchung der Realisierung der Integrationsidee in verschiedenen institutionellen und kulturellen Kontexten steht im Zentrum dieses Projektes. In einer vergleichenden Analyse eines spezifischen Politikfeldes: der Chemikalienkontrolle in Großbritannien, Deutschland und den USA wird untersucht, wie in unterschiedlichen Settings diese Aufgabe bewältigt wird. Der Fall der Chemikalienkontrolle ist dabei sehr vielversprechend: Einerseits sind chemische Produkte in vielen Industriezweigen wie auch aus dem alltäglichen Leben heute nicht mehr wegzudenken. Andererseits bergen Chemikalien gravierende Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Die Umweltpolitik steht damit vor der schwierigen Aufgabe, Maßnahmen zum Schutz von Gesundheit und Umwelt zu ergreifen, ohne allerdings andere gesellschaftliche Ziele, etwa Wirtschaftswachstum, Beschäftigugn und gesellschaftlichen Wohlstand zu gefährden.
Auf den ersten Blick weisen die Regime der Chemikalienkontrolle in den untersuchten Ländern große Gemeinsamkeiten auf. Sie lassen sich alle unter der Überschrift ökologische Modernisierung zusammenfassen. Bei genauerer Betrachtung allerdings ergeben sich beträchtliche Unterschiede in Bezug auf die Art, Umweltprobleme zu adressieren, in der Prioritätensetzung, beim Risikomanagement etc. Unter Einbezug einer Bandbreite von Faktoren – politisch-administrative Institutionen, die Rolle von Wissenschaft, Strategien von Interessengruppen, internationale Einflüsse – werden die nationalen modi vivendi der Integration von Umweltbelangen in die Gesellschaft herausgearbeitet.