Niedervalentes Silicium

Gegenwärtig basiert die Chemie des Siliciums vorwiegend auf der Oxdationsstufe vier, die des Siliciums(II) steckt dagegen noch in den Kinderschuhen. Ein Silylen (R2Si:) ist ein Molekül mit einem di- valenten Siliciumatom, das ein freies Elektronenpaar trägt. Noch bis 1994 galten solche Silylene generell als besonders reaktive und instabile Verbindungen, die sich bereits bei Temperaturen oberhalb von 77 K zersetzen oder polymerisieren. Das änderte sich als Denk, West et al. über das erste N-heterocyclische Silylen be- richteten, das bei Zimmertemperatur stabil ist[1].


Kürzlich schlossen wir uns in einer engen Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Herbert W. Roesky aus unserem Institut dieser Forsch- ungsrichtung an.


Wir erarbeiteten die Synthese des ersten basenstabilisierten Di- chlorsilylens, das ebenfalls bei Zimmertemperatur stabil ist. Es bildet sich bei milden Reaktionsbedingungen durch die reduktive Eliminierung von HCl aus Trichlorsilan in Gegenwart eines NHCs (Abb. 1). Die Struktur zeigt ein trigonal-pyramidal koordiniertes Siliciumatom mit einem stereochemisch aktiven freien Elektronen- paar in der apikalen Position. Der Cl-Si-Cl Bindungswinkel von 97.3°, die seitliche Koordination des Carbens und die Gestalt des freien Elektronenpaares legt nahe, dass das Siliciumatom kaum sp2-hybridisiert sein kann und dass das freie Elektronenpaar vor- wiegend s-Charakter haben muss[2].


Natürlich sind bereits viele Hydride des Siliciums in der Oxida- tionsstufe vier bekannt, aber ein entsprechend stabiles Hydrid in der Oxidationsstufe zwei war bislang unbekannt. Deshalb haben wir uns über die Synthese des ersten Lewis-basenstabilisierten Silicium(II)hydrids [{PhC(NtBu)2}SiH(BH3)], stabil bei Zimmertemp- eratur und in guten Ausbeuten, sehr gefreut[3]. Ladungsdichte- untersuchungen auf der Basis von hochauflösenden Tieftemp- eratur-Beugungsexperimenten lassen nur eine konsistente Inter- pretation der Bindungsverhältnisse im Molekül zu. LSiH(BH3) ist das erste Silicium(II)monohydrid, stabilisiert durch eine kovalente Bindung mit einem sp3-hybridisierten Boratom. Die positiv gela- dene Gruppe wird koordiniert von den freien Elektronenpaaren des Benzamidinat-Liganden L[4]. Dieses Experiment erlaubt eine schlüssige Interpretation der elektronischen Verhältnisse durch die Integration aller symmetrieunabhängigen atomarer Basins. Die atomaren Ladungen zeigen erhebliche positive Werte für Silicium (+1.68 e), Bor (+1.21 e), und sogar für C1 (+0.60 e), überwiegend ausgeglichen durch N1 (-1.31 e), N2 (-1.21 e), und das silicium gebundene Wasserstoffatom(-0.53 e) und die borgebundenen H-Atome (durchschn.: -0.53 e).


Obwohl das antiaromatische Cyclopentadienyl-Kation synthetisch immer noch nicht zugänglich ist, wird das schwerer Derivat durch Ersatz der Kohlenstoffatome durch Atome der Lithosphäre wie Sili- cium und Phosphor zugänglich[5]. Offensichtlich stabilisieren Ele- mente der dritten Periode den antiaromatischen fünfgliedrigen Ring beträchtlich und Phosphor, als ein exzellenter π-Donor, ent- spricht der Schrägbeziehung ohne eine einfache Kopie des Kohlenstoffs abzugeben (Abb. 3). Trotz der Tatsache, dass dieser antiaromatische Ring 24 kcal/mol energiereicher als der denkbare entsprechende aromatische anionische Ring ist, stabilisieren die Silicium und Phosphoratome den kationischen Ring so gut, dass man ihn isolieren kann. Überraschenderweise ist das Gegenion zu diesem ausgedehnten kationischen Ringsystem ein einfaches Chlorid-Anion, das nicht mit dem fünfgliedrigen Ring wechselwirkt und nicht zu dessen Stabilisierung beiträgt.


Die Aktivierung des weißen Phosphors war stets aufgrund des vielfältigen industriellen Bedarfs bei der einfacheren Darstellung von Organophosphor-Derivaten von Interesse. Zwar hat die Akti- vierung des Phosphors durch niedervalente Gruppe-14-Derivate innerhalb kürzester Zeit eine blühende Entwicklung zu einem attraktiven, faszinierenden und expandierenden Arbeitsgebiet der Chemie erfahren, eine neutrale P4-Kette, stabilisiert durch N-het-erocyclische Silylene, war bis jetzt jedoch unbekannt. Deshalb hat es uns sehr gefreut, die Synthese so einer neutralen acyclischen P4-Kette, stabilisiert durch das ebenfalls kürzlich dargestellte Silicium(II)bis(trimethylsilyl)amid [PhC(NtBu)2SiN(SiMe3)2] berich- ten zu können (Abb. 4). Die molekulare Struktur zeigt das Z-Isomer eines Diphosphens. Es besteht aus zwei Silicium- und vier Phosphoratomen, die zusammen eine Si2P4-Sechserkette bilden (Si=P–P=P–P=Si), die in einer Diphosphen- und zwei Phospha- silen-Untereinheiten 6π-Elektronen enthält[6].

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[1] M. Denk, R. Lennon, R. Hayashi, R. West, A. V. Belyakov, H. P. Verne, A. Haaland, M. Wagner, N. Metzler J. Am. Chem. Soc. 1994, 116, 2691-2692.

[2] R. S. Ghadwal, H. W. Roesky, S. Merkel, J. Henn, D. Stalke Angew. Chem. 2009, 121, 5793-5796; Angew. Chem. Int. Ed. 2009, 48, 5683-5686.

[3] A. Jana, D. Leusser, I. Objartel, H. W. Roesky, D. Stalke Dalton Trans. (Hot Article) 2011, 40, 5458-5463 and inside front cover, highlighted by A. Schnepf in Nachr. Chem. 2011, 59, 698.

[4] D. Stalke, M. Wedler, F. T. Edelmann J. Organomet. Chem. 1992, 431, C1-C5.

[5] S. S. Sen, J. Hey, M. Eckhardt, R. Herbst-Irmer, R. A. Mata, H. W. Roesky, M. Scheer, D. Stalke Angew. Chem. 2011, 123, 12718-12721; Angew. Chem. Int. Ed. 2011, 50, 12510-12513.

[6] S. Khan, R. Michel, S. S. Sen, H. W. Roesky, D. Stalke Angew. Chem. 2011, 123, 11990-11993; Angew. Chem. Int. Ed. 2011, 50, 11786-11789.