Menschenwürde nach der Barbarei - Zu den Folgen eines gewaltsamen Umbruchs in der Geschichte der Menschenrechte
Nach 1945 hat es die moderne Menschenrechtsdiskussion mit einem grundlegend veränderten Begriff von Menschenwürde zu tun, der dem Umstand Rechnung trägt, dass der europäische Totalitarismus die fundamentale Verletzbarkeit und Zerbrechlichkeit menschlicher Würde bewiesen hat. Der Begriff "Würde" steht so nicht länger für eine "unverlierbare Mitgift", die der Mensch niemals einbüßen kann. Er zielt vielmehr auf ein äußerst anfälliges, jedem Menschen qua Menschsein innewohnenden "Potenzial" zu einem gelingenden Leben in Achtung und Selbstachtung, dessen notwendige soziale Bedingungen durch korrespondierende Menschenrechte geschützt werden müssen. Daraus folgt: Das menschenwürdige Leben ist das Ziel oder das "Worumwillen" heutiger Menschenrechtsvereinbarungen. Deshalb sollte die Rechtsphilosophie auch nicht den Fehler begehen, von einem kategorischen Besitz universeller Menschenrechte auf einen ebenso kategorischen "Besitz" der Menschenwürde kurzschließen zu wollen. Vielmehr haben alle Menschen exakt diesselben Menschenrechte, weil sie gerade nicht schon von vornherein alle auf exakt diesselbe Weise ein Leben in Würde führen.
Lektürevorschlag zur Vorbereitung:
Arnd Pollmann: Würde nach Maß, in: DZPhil, 4/2005.