Rückgekoppelte Autonomie
Rede anlässlich der akademischen Feier zur Übergabe des Präsidentenamtes am 20. Oktober 1998
Inhalt der Seite
- Einleitung
I. Von den prekären Ressourcen/Potentialen der Universität
II. Kontraproduktive (dysfunktionale) Eingriffe
III. Ein besseres (ressourcenentfaltendes) Organisationsmodell?
Literaturverzeichnis
"Gelehrte zu dirigieren ist nicht viel besser als eine Kommödiantengruppe unter sich zu haben ... Mit wieviel Schwierigkeiten ich ... zu kämpfen habe, wie die Gelehrten, die unbändigste und am schwersten zu befriedigende Menschenklasse - mit ihren ewig sich durchkreuzenden Interessen, ihrer Eifersucht, ihrem Neid ... ihren einseitigen Absichten, wo jeder meint, daß nur sein Fall Unterstützung und Förderung verdient, mich umlagern ... davon hast du keinen Begriff" - das schrieb 1808 / 1810 Wilhelm an Caroline von Humboldt. Durch solche Erfahrungen skeptisch gegenüber der Erneuerungsfähigkeit der Professorenschaft, wollte Humboldt als Staatsmann, von außen, eine ganz neue Universität schaffen, statt die vorhandene zu reformieren. Heute, abermals unter Innovationsdruck, könnte man sich wieder fragen, ob nicht jede prinzipielle Erneuerung der Wissenschaften und der akademischen Lehre gegen das institutionelle Gefüge der jeweils bestehenden Universität konzipiert werden muß, um effektiv sein zu können (so schon Schelsky 1963).
Skepsis gegenüber den Möglichkeiten einer Erneuerung der Universität aus sich selbst heraus nährt nicht nur die lange Linie der Universitäts- und vor allem der Professorenkritik, die Humboldt eröffnet und die sich über Max Weber und Schelsky bis zu Simons Diktum von der Verrottetheit der gegenwärtigen Universität fortgesetzt hat. Soziologen - genauer: Organisationssoziologen; als solcher will ich heute sprechen - werden in diesem Zusammenhang immer auch an einige Thesen der neueren organisationswissenschaftlichen Forschung erinnern, die, unterstellt man ihnen auch eine Relevanz für die Universität, geradezu universitätspolitische Resignation nahelegen.
Denn markante Vertreter dieser Forschungsrichtung schrieben etablierten Organisationen - und Universitäten sind etablierte Organisationen par excellence - einen fatalen Hang zur Unbeweglichkeit zu. So argumentierte schon Olson 1982, gut eingeführte ökonomische und politische Organisationen zeigten starke Merkmale einer ineffizienten Kartellbildung und Abschließung. Schnelle Anpassung an Umweltherausforderungen mittels Reallokation ihrer Ressourcen sei ihre Stärke nicht. So diagnostizierten Prahalad und Bettis 1986 diese Innovationsschwächen als Zeichen für Erstarrungen, welche im Modus operandi jeder Organisation um so deutlicher hervorträten, je erfolgreicher diese sich hat etablieren können. Prahalad/Bettis nannten die Konzepte (Produktpolitiken, Techniken, Organisationsweisen, Arbeitseinsatzstrategien), mit deren Hilfe eine Organisation gelernt hat, sich eine Nische zu erobern und sich in dieser zu behaupten, die "dominante Logik" dieser Organisation. In dieser dominanten Logik steckt viel ökonomisches und soziales Kapital - eine Wertmasse, die im Erneuerungsfall immer geschmälert oder gar vernichtet wird. Die Repräsentanten dieser dominanten Logik, also die Herren und Funktionsträger der Organisation, wären demzufolge Verlierer jeder Erneuerung und plädierten deshalb immer für den organisatorischen Status quo. So erklärte Utterbeck 1986 konsequenterweise die Neulinge und Durchstarter am Markt, im Unterschied zu den Wohletablierten, zu Protagonisten der Innovation. So billigten Tushman/O'Reilly 111 1997 schließlich etablierten Organisationen nur beschränkte Erneuerungschancen zu, und selbst diese nur dann, wenn sie massiven Konkurrenzdruck und harte Sanktionen nicht nur aushielten, sondern produktiv wenden könnten - durch eine schwierige, daher auch seltene Selbstreform in Richtung einer Organisation, die mehrhändig auf mehrere Kontexte zu reagieren bzw. diese zu bedienen weiß. Dies wäre dann ein Organisationstypus, der imstande ist, die dominante Logik wie auch die Herausforderungen an diese Logik zusammen zu repräsentieren.
Das alles ist nicht ermutigend für die Sache einer Reform der Universität - vor allem nicht für eine Reform, die von innen, von der Universität selbst ausgeht. Der nahegelegten Einschätzung einer Reformunfähigkeit der Universität möchte ich hier jedoch widersprechen. Natürlich kann man nicht unbedingt sagen, daß die Universität im Kern (!) vollkommen gesund sei. Es schlummern jedoch in der Universität Ressourcen, die für die Bewältigung der Herausforderungen, vor denen wir heute in der Tat stehen, strategische Bedeutung besitzen. Nur sind diese Potentiale durch Routinen, Idiosynkrasien und Egoismen verschüttet, so daß für die Erneuerung nicht unmittelbar auf sie zurückgegriffen werden kann.
Aber unabhängig davon, ob diese Potentiale kränkeln oder nicht: Was heute an hochschulpolitischen und fiskalischen Maßnahmen den Universitäten von außen zugemutet wird, ist nicht nur blind gegenüber dem Wert dieser Ressourcen, sondern läuft auch Gefahr, diese zu zerstören. Oft sind die Eingriffe schlicht in sich widersprüchlich und stiften durch die unterschiedlichen Botschaften, die sie vermitteln, Desorientierung in den Universitäten anstelle von Klarheit im Umgang mit den vorhandenen Potentialen. Schlimmer noch: Manchmal interveniert man offenbar sogar nach der bloß noch zynischen Devise - und die eingangs erwähnte Universitätsskepsis scheint diesen Zynismus auch noch zu rechtfertigen -, daß man die Universitäten durch Druck zu ihrem Glück treiben müsse, wenn schon ihre Trägheit sie daran hindere, ihr Glück selbst zu greifen. Diese Ideologie, die den heilsamen Zwang rechtfertigen soll, entlastet gewiß die Eingreifenden von der Pflicht, die Wirkungen von Mittelumlenkungen, Kürzungen und all den anderen Zwangsmitteln, mit denen man uns traktiert, genau zu prüfen. Aber sind Verwirrung und Zwang gute Lehrmeister? Warum sollten die Universitäten gerade durch solche Mittel dazu gebracht werden, sich ihrer Vorteile gewiß zu werden und diese besser als bisher zu nutzen?
Ich werde im folgenden zunächst klären, was ich unter erneuerungsrelevanten Ressourcen der Universität verstehe. Dabei soll deutlich werden, daß diese Ressourcen in der Tat wertvoll, aber auch heikel sind, und daß es ratsam ist, mit ihnen pfleglich umzugehen. So widersprüchlich oder grob, wie Hochschulpolitik heute interveniert, trägt sie dieser Bedingung wenig Rechnung. Meine politikkritisehen Bemerkungen kann ich im Rahmen dieses Vortrags natürlich nicht positiv in einen eigenen Politikentwurf wenden. Aber ich möchte doch wenigstens versuchen, ein Organisationsmodell zu skizzieren, das einen pfleglichen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen verspricht.
I. Von den prekären Ressourcen/Potentialen der Universität
Universitäten sind eigenartige Gebilde. Man kann sie (idealtypisch) als lose Kopplung wissenschaftlicher Disziplinen definieren. Daß "Wissenschaft" das Kerngeschäft einer Universität sein soll, grenzt Universitäten von bloß wissensvermittelnden oder berufsqualifizierenden Einrichtungen ab. Das Wissen, wofür die Universität steht, ist nichts Abgeschlossenes, nichts kanonartig Verfestigtes, sondern etwas Prozeßhaftes. Denn Wissenschaft gründet in Forschung: dem methodisch geschulten Bemühen um neue Einsichten und Argumente, das per se dynamisch ist.
Die "Disziplinen" wiederum bilden zugleich die Grundeinheiten der Organisation Universität. Diese Disziplinarität ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Damals wurden die modernen Wissenschaften nach der Idee geformt, daß alle Bemühungen um die intellektuelle Aneignung eines bestimmten Gegenstandes in einem Fach, und nur in diesem einen, zusammenzufassen seien. Man versprach sich den größten kognitiven Fortschritt dadurch, daß man die Bemühungen um die Erfassung eines bestimmten Gegenstandes konzentrierte und die Methoden auf diesen Erkenntnisgegenstand präzise ausrichtete. Seither gelten die Disziplinen als die Treibhäuser des universitären Wissens.
"Loosely coupled systems" (um den Jargon meines Fachs zu benutzen) - lose gekoppelte Systeme sind Universitäten schließlich deshalb, weil sie die in ihnen versammelten Disziplinen weder zentral steuern noch konsequent integrieren. Die Disziplinarität hat im Grunde mit der alten Idee von der Universität als der Gesamtheit der anerkannten Wissenschaften, der "universitas litterarum", gebrochen, die nur noch in der Vorstellung aufscheint, daß eine echte Universität einen mehr oder weniger vollständigen Satz aller wissenschaftlichen Disziplinen zu umfassen habe. Doch ist die Vorstellung, eine Universität könne ihr Wissen universell lehren oder gar verbessern, mit der explosionsartigen Vermehrung und der prozessualen Fassung des Fachwissens sowie der disziplinären Ausdifferenzierung der Wissenschaften seit dem 19. Jahrhundert illusionär geworden. Und je deutlicher sich die Disziplinen profilierten, desto mehr verschwanden die Überlappungen und Grauzonen zwischen den Disziplinen - sei es, weil die Zwischenbereiche der einen oder der anderen Disziplin einverleibt wurden, sei es, weil man diese, wie schon Kuhn 1970 zeigte, als unverdaulich beiseite schob oder gar vergaß. Die Disziplinen wurden zu quasi-autarken Einheiten. Sie beziehen sich seither primär auf sich selbst. Ihre fachlichen Kontakte nach außen - mit Fachgenossen an anderen Standorten, mit der Fachvereinigung, mit den ihrerseits stark fachlich orientierten Fördereinrichtungen - sind vielfach stärker als die Beziehungen mit fachfremden "Kollegen" im Innern der eigenen Universität. Die Universität selbst verwandelte sich in einen Heimathafen, "home base", für die entsprechend ihrer jeweiligen Fachlogik operierenden und dabei auch aus der Universität ausschwärmenden Disziplinen. Die Universität stützt "ihre" Fächer dabei durch die Infrastruktur, die sie bereithält; gleichwohl orientieren sich die Aktionen der Fächer allenfalls schwach an "ihrer" Universität, und falls die Universität ihrerseits Rückforderungen an die Fächer stellt, kann es passieren, daß sie von diesen wegen inkompetenter Belästigung zurückgewiesen wird.
Man unterschätze nicht die Vorteile, die diese Organisationsform den Universitäten eröffnet hat. Durch ihre disziplinäre Struktur kamen den Universitäten die bekannten Vorteile der Arbeitsteilung und Spezialisierung zugute. Zudem: Jede Disziplin bot allen, die in sie hineinsozialisiert wurden, eine stabile kognitive Referenzfolie. Diese gab an, was als Forschungsstand galt, wie sich interessante Forschungslücken identifizieren ließen, woran sich Erkenntnisfortschritte auszuweisen hatten und welche Standards das fachliche Argument von der bloß laienhaften Aussage abgrenzten. Die Einbettung der Wissenschaften in diesen Bezugsrahmen ermöglichte immense kognitive Fortschritte, denen gegenüber die Gefahr einer gewissen Kanalisierung der Wissensentwicklung zunächst kaum ins Gewicht fiel. Der Organisationsmodus der losen Disziplinenverkopplung gab den Universitäten eine flache Hierarchie mit sehr starken dezentralen Einheiten in Form der fachlich gefaßten Institute bzw. Seminare einerseits und einer schwachen Zentrale andererseits. Die internen Kontroll- und Steuerungskosten waren relativ gering - ebenso bescheiden blieben freilich die Möglichkeiten jedweder Steuerung von innen. Diese lockere interne Verbindung der Disziplinen ging einher mit einer außerordentlich großen Responsivität der Universität nach außen. Die Leinen, die die Gesamtuniversität den Fächern anlegen konnte, waren gewiß recht locker. Aber jedes einzelne Fach war selbst einem mächtigen äußeren Anreiz- und Sanktionssystem unterworfen - dem der wissenschaftlichen Gemeinschaft, dem das Fach jeweils angehörte. Diese Verpflichtung auf die Fachwelt (statt auf den vielleicht doch leicht provinziellen einzelnen Standort) sorgte für die rasante Entfaltung der Fachlogiken durch schnelle Kommunikation neuer fachlicher Einsichten sowie durch die Belohnung herausragender fachlicher Leistungen. So war die Universität als Institution durch die Paradoxie gekennzeichnet, daß eine fachliche Einheit um so mehr Gewicht in ihrer Universität geltend machen konnte, je weniger sie innerhalb der Universität von sich Aufhebens machte und je mehr sie sich draußen entfaltete - in der nationalen und internationalen Gemeinschaft aller Genossen des Fachs. Einen einfachen Indikator für die Bedeutung eines Gelehrten könnte man nach diesem Modell geradezu in der Rate seiner Ortsabwesenheit sehen - ganz nach dem Witz: Who is a most distinguished scholar? That's the visiting professor from a highly reputated university who never shows up at the university he or she is visiting. Nach solchen Indikatoren - und nicht etwa nach dem Kriterium formaler Organisationsloyalität - bemaß sich auch die Binnenreputation eines Universitätslehrers oder -fachs. Von den Anßenkontakten hing maßgeblich sogar die finanzielle Ausstattung ab. Denn die in der externen Fachwelt bewiesene Leistungsfähigkeit erschloß externe Gratifikationen, die ihrerseits intern prämiert wurden.
Ist das alles nicht bereits genau die Organisation, die uns heute von den Modernisierungsstrategen unter den Slogans einerseits von mehr Wettbewerb, Auslese und Internationalität, andererseits einer größtmöglichen Effizienz durch "new public management"/" government by the market" ans Herz gelegt wird? Es mag irritieren, wenn ich an dieser Stelle feststelle, daß die Universität mit ihren klassischen Organisationsmerkmalen der Dezentralisierung und der externen Responsivität schon immer diesem heute eingeforderten Organisationstypus nahegekommen ist. Wenn dies so ist: was ist dann überhaupt falsch an der Organisation "Universität"?
Eines wird hier schon sichtbar: daß sich nämlich der Ausgangspunkt der Organisationsreform bei den Universitäten anders darstellt als bei großen staatlichen Bürokratien oder auch bei fordistischen Mammutunternehmen und daß man demzufolge äußerst vorsichtig sein sollte mit der Übertragung von Reformkonzepten von der einen Organisationsform auf eine andere. Geht es bei durchbürokratisierten Großorganisationen primär darum, daß sie lernen, wie rasch die Steuerung komplexer Systeme von oben oder von außen in Regelungsschematismen endet (weil nämlich die Steuerstellen zu weit vom operativen Geschäft entfernt sind, als daß sie die Detailkenntnisse besäßen, die zur Aussteuerung der komplizierten Funktionen nötig sind), so stellt dies ganz bestimmt nicht das zentrale Reformproblem der Universitäten dar. Aus der Organisationsgeschichte der Universitäten heraus ist allemal klar: speziell Universitäten kann man nicht schlicht "top down" optimieren. Den vagabundierenden Universitätsleuten muß niemand das hohe Lied von Flexibilität, Marktoffenheit und von unbürokratischen Praktiken singen. Es ist eher eine Ironie, wenn diese Botschaft heute ausgerechnet von Ministerialbeamten verbreitet wird, deren Berufserfahrung die einer Kaminkarriere in einer strikt zentral geführten, stark selbstreferentiellen Behörde ist. Warum, um Himmels willen, ist dann aber überhaupt eine Reform der Universitäten nötig?
Wir brauchen die Reform, weil diese alten Stärken der Universitäten immer schon eine Kehrseite gehabt haben, die jetzt, unter stark veränderten Umweltbedingungen, deutlicher zutage tritt. Für mich sind es vor allem zwei Sachverhalte, die hier zur Kenntnis genommen werden müssen:
a) Wenn die Disziplinen autark in der Erforschung ihres Gegenstandsausschnittes sind und ihr Selbstverständnis dementsprechend formulieren, laufen sie Gefahr, sich in kognitive Idiosynkrasien zu verlieren. Ein Sichvergraben ins Fach ist nur solange hilfreich, wie die hauptsächlichen Erkenntnisgewinne auf den Linien der einzelnen Fachlogik zu erzielen sind. In dein Maße, in dem sich die Disziplinen etablierten und sich dann im Prozeß ihrer Etablierung gegeneinander abschotteten, verblaßte aber die Produktivkraft der disziplinären Organisation. Auch wissenschaftliche Disziplinen treten in das Stadium der Maturität, und dann kann es vorkommen, daß die kognitiven Grenzerträge jedes weiteren Schritts auf dem Trampelpfad der Disziplin tendenziell abnehmen. Jede Disziplin muß für sich selbst bilanzieren, wo sie auf ihrer Grenzerkenntniskurve steht. Verallgemeinernd kann man auf der Grundlage der Innovations- und Wissenschaftsforschung sagen: Kognitive Innovationen gelingen heute oft nur noch mittels der Fähigkeit, Wissen über die Grenzen von Disziplinen hinweg zu integrieren (Gibbons/Limoges/Nowotny et al.: The Production of Knowledge). Grundlegend neue Einsichten lassen sich jetzt ceteris paribus um so besser erzielen, je leichter Wissen, welches bisher an verschiedenen Stellen - in separaten Fächern - lokalisiert war, miteinander verflochten werden kann. Erkenntnistransfer quer zu den Einzeldisziplinen und Integrationskompetenz sind heute mehr gefragt - und dies exakt ist es, woran es den Universitäten in ihrer klassischen Verfassung mangelt.
Der Grund liegt auf der Hand: Von der Disziplinarität des alten Universitätsmodells geht eine Schwerkraft aus, die die Wissensartikulierung und die Kooperation immer wieder in die relativ engen Bahnen dieses Organisationsschemas hineinzieht. Der daraus resultierende Selbstbezug im homogenen Milieu äußert sich im Geltendmachen von Zugriffsprivilegien ("exklusive Kompetenz") und in der Unterschätzung externen Wissens. Es sind diese Abgrenzungen, die für Disziplinen charakteristisch sind, die negativ wirken, wenn es jetzt auf die Fähigkeit zur Wissensintegration ankommt. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht überhaupt nicht um die Abschaffung der Disziplinarität. Man muß sein Fach besonders gut beherrschen, um die Entwicklung des Grenznutzens der eigenen Disziplin beurteilen zu können. Was nottut, ist ein besseres Zusammenspiel von Disziplinarität und transdisziplinärer Kooperation.
b) War bisher von Wissensblockaden die Rede, so ist jetzt über organisatorische Bornierungen zu sprechen, die ebenfalls in der disziplinären Struktur der Universität angelegt sind. Die Tatsache, daß nach dem alten Organisationsmodell der Hauptakzent auf dem autonomen Funktionieren der disziplinären wissenschaftlichen Arbeitsprozesse liegt, lähmt die Universität, wenn sie in eine Situation gerät, die einen Neuzuschnitt der Gesamtorganisation erfordert. In der immer noch vorherrschenden Organisationsphilosophie ist das Funktionieren des Ganzen eine nachgeordnete Größe. Falls sich die untersten Organisationseinheiten überhaupt mit Problemen des Zuschnitts der Gesamtorganisation befassen müssen, besteht die Tendenz, daß sie diese bis zum Verschwinden kleinarbeiten. Dies ist so lange gutgegangen, wie der Bestand der Gesamtorganisation nicht hinterfragt wurde und die Zeichen auf Zuwachs standen. Diese Zeiten sind jedoch vorbei.
Die Aufgabe, mit der wir plötzlich konfrontiert werden, ähnelt der Quadratur des Kreises: Wir müssen Wege finden, die originären Aufgaben der Universitäten - akademische Lehre, Grundlagenforschung, Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses - innovativer zu erledigen, und zwar bei tendenziell rückläufigen Etats und vermehrten Verpflichtungen, also unter der Randbedingung größerer Effizienz. Innovation plus Effizienz: das könnte man erreichen, wenn jede Universität ihre komparativen Stärken identifiziert und ausbeutet, d. h. wenn sie ihre knappen Mittel auf jene Disziplinen konzentriert, in denen sie Spitze ist, und wenn sie sich den Import aus anderen Disziplinen, die sie selbst nicht mehr richtig pflegen kann, die sie aber für neue Projekte der Wissensintegration eventuell braucht, durch Kooperation mit komplementären Standorten sichert. Eine komplizierte Aufgabe gewiß, zu deren Lösung die Universität unbedingt den Sachverstand und den guten Willen ihrer Fächer braucht, ohne freilich jedem Fach von vornherein garantieren zu können, daß es durch den organisatorischen Neuzuschnitt gewinnen werde. Den Fächern muß also zugemutet werden, ins Risiko zu gehen. Wir brauchen die Einheit der Teile, bekommen sie aber nur in einem Prozeß, in dem jeder einzelne Teil sich durch sein Engagement selbst den Ast absägen könnte, auf dem er sitzt. Die spannende Frage der Organisationsentwicklung in unseren Universitäten ist heute somit diese: Auf welche Weise befähigt sich die Universität, in der in langen, überwiegend guten Zeiten der disziplinäre Partikularismus eingeübt worden ist, nun plötzlich in mageren Jahren zu konsensualer Zielfindung über die Fächergrenzen hinaus?
So läßt sich denn die Aufgabe der Universitätsreform in unserer Zeit wie folgt präzisieren: In Konsequenz von a "Öffnung der Disziplinen durch Aufweichung kognitiver Fixierungen und durch Anreicherung des disziplinären
Sonderbewußtseins mit transdisziplinären Konzepten" und in Konsequenz von b "Ausweitung des Planungshorizonts der Fächer einer Universität auf das Profil der Gesamtuniversität durch konsensuale Zielfindung in Nullsummen- oder Minusspielen mit ungewissem Ausgang für den einzelnen". Die Kunst dieser Reform wäre es, die einzelnen Fächer dazu zu bringen, ihr Potential in den Dienst der Reform zu stellen, einer Reform, die die geistigen und materiellen Besitzstände zur Disposition stellen könnte und zwar bis zu dem Punkt hin, daß darüber nachgedacht werden muß, ob ein bestimmtes Fach an einem bestimmten Standort überhaupt noch richtig plaziert ist oder nicht besser zugunsten profilrelevanterer Fächer aufgegeben werden sollte. Autoaktivierung verbunden mit einem Amputationsrisiko - wie kann das gelingen? Ich spreche zunächst darüber, wie es garantiert mißlingt.
II. Kontraproduktive (dysfunktionale) Eingriffe
Die Universitäten werden von zahlreichen Prüfungen heimgesucht. Aber anders als in meinem Lieblingsmärchen "König Drosselbart" sind unsere Prüfungen nicht besonders gut durchdacht. So wird im Märchen die Magd nach einer sinnvollen Kaskade unterschiedlicher Aufgaben erhoben und vom König geehelicht. Auf das Verhältnis Universität/Staat-Regierung läßt sich dies leider nicht übertragen.
Nachdem ich bisher die zwei Seiten der universitären Potentiale - ihre Stärken und ihre Schwächen - behandelt habe, gehe ich auf die wegen ihrer Unangemessenheit und Widersprüchlichkeit lähmenden Eingriffe des Staates ein. Vergegenwärtigen wir uns nur stichwortartig die elementarsten Widersprüche:
Man sagt Erneuerung, hat aber Einsparung im Sinn. Stichwort "Stipendien statt Nachwuchsstellen", vermutlich auch Stichwort "lnnovationsoffensive".
Man will Effizienz, pfropft auf die Kernfunktionen der
Universitäten aber neue Aufgaben, die das Aufgabenfeld immer diffuser werden lassen. Stichwort "Moratorium für andernfalls Arbeitslose".
Man verlangt Exzellenz, definiert aber die Kriterien für die Zuschüsse mit deutlicher Vorliebe für eine Nivellierung in der Mitte. Stichwort "Kennziffern und Quoten".
Man erwartet schnelle Reaktionen, belastet aber die universitären Entscheidungsprozesse mit überkomplizierten Auflagen. Stichwort "Heimatrecht der Feldhamster".
Man empfiehlt Flexibilität, bindet aber die Potentiale durch enge rechtliche oder faktische Verpflichtungen. Stichwort "Arbeitszeitkorsett für den wissenschaftlichen Nachwuchs".
Man redet von Autonomie, verzichtet aber nicht auf alte bürokratische Gängelungen oder ersetzt diese durch neue Formen der Aufsicht. Stichwort "Hochschulrat". Ich zitiere aus einem neuen Schriftsatz unseres Ministeriums: "Die Neubestimmung des Verhältnisses Staat - Hochschulen schließt die Möglichkeit ein, die Hochschulen aus dem unmittelbaren staatlichen Verwaltungsaufbau herauszunehmen und selbständige öffentlich-rechtliche Trägerorganisationen (§ 58 Abs. 1 HRG n. F.) ... zu schaffen. Gerade diese Zielsetzung macht ... ein neues Aufsichtsorgan als Gegenpart für die gestärkten Leitungsorgane der Hochschulen erforderlich (Kuratorien, Hochschulräte)" (Eckpunkte für eine Neufassung des NHG. Stand 2.9.98).
Keine Organisation kann solche Wechselbäder verkraften - auch die Universitäten nicht. Für die Universitäten kann man sich ohne weiteres ein Negativszenario vorstellen, im welchem sich falsche Eingriffe von außen mit restriktiven Praktiken im Innern zu einem Circulus vitiosus aufschaukeln.
Diese negative Entwicklung stünde dem entgegen, was wir als elementare Voraussetzung für das Gelingen der Universitätsreform erkannt haben: daß die Fächer ins Risiko gehen. Ohne daß die einzelnen Disziplinen mit offenen Karten spielen und ihre Stärken wie auch ihre eventuellen Schwächen zu zeigen bereit sind, können keine Fortschritte erzielt werden. Falls etwa das Beispiel für restriktive Praktiken Schule machen sollte, daß einzelne Fachvertreter - aus Angst vor möglichen Nachteilen - die Evaluierung von Forschung und Lehre durch Informationsverweigerung boykottieren, durch geschönte Berichterstattung unterlaufen oder durch Rückgriff auf die disziplinäre Verbundenheit in ihren Netzwerke sich ihre Gutachter gleich selber wählen, könnte keine objektive Leistungsbilanz erstellt werden. Der Optimierung der Fächerstruktur würde es dann an den erforderlichen Grunddaten mangeln.
Mitwirken macht verletzbar, und das Wissen um diese potentielle Verletzbarkeit kann in ein risikoaverses Verhalten umschlagen, das der Erneuerung dann zuwiderläuft. Deshalb müssen Verkettungen aus Verletzbarkeitsangst, Risikoaversion, Desinformation und Verweigerung verhindert werden. Doch gelingt dies nur, wenn die Reform in ein Klima des Vertrauens eingebettet ist. Vertrauen, verstanden als die gegenseitige Erwartung der bei der Reform kooperierenden Kräfte, daß keine die durch die Mitwirkung bedingte Verletzbarkeit ausnutzen werde, wäre also das benötigte Gegenmittel. Allein wenn die beteiligten Partner diese Reziprozitätserwartung verbindet sei es, weil gemeinsame Werte ihnen diese nahelegen; sei es, weil sie in Rationalitätskalkülen ihre Interessen als eng miteinander verzahnt erkennen -, wird ihnen plausibel erscheinen, auf Verdeckungsstrategien oder Täuschung zu verzichten. Allein unter dieser Bedingung kann man dann auch auf dem Weg der Reform vorankommen. In dem durch die erwähnten hochschulpolitischen Widersprüche aufgeladenen, ja polarisierten Klima ist diese Voraussetzung indes nicht gesichert; die Hintergrundbedingung geteilter Kultur und Geschichte wird dann ebenso fragwürdig wie die Komplementarität konkreter Interessen. Anstelle von Vertrauen sprießt Mißtrauen. Und auf der Strecke bleibt das notwendige Ingredienz jedweder Reform: das Engagement der Kompetenzträger in der zu reformierenden Organisation.
Ich behaupte nicht, daß dieses Pendel zwischen unbedachter Intervention und mißtrauischer Verweigerung bereits kräftig schwingt; wie hätte ich mich sonst für mein jetziges Amt, dann ja eine Harakiri-Position, bewerben können? Aber vor der Möglichkeit dieser negativen Rückkopplung müssen wir auf der Hut sein. Vorbereitet durch die schlechten Erfahrungen mit politischer Intervention, die wir jetzt bereits haben, könnte sich sonst in den Universitäten ein "Nach uns die Sintflut"-Gefühl breitmachen. Mitglieder der Universität würden häufiger als bisher unter Nutzung der in dezentralen Strukturen für hochqualifizierte Akteure allemal bestehenden Nischen in die innere Emigration abtauchen. Egoismen oder Verschrobenheiten (deren es in unserer Berufsgruppe ja schon in normalen Zeiten einige gibt) bekämen Auftrieb, ohne daß sich die Universität gegen sie schützen könnte. Selbstbezüglichkeit, Besitzstandsdenken und Kommunikationsblockaden würden sich verfestigen und lieferten Wasser auf die Mühlen derjenigen in Politik und Verwaltung, die die Universitäten eh als unfähig zur Erneuerung ansehen. Die Ressourcen, aus denen sich heute noch eine bessere Universität bauen ließe, wären dahin. Tragen wir das unsere dazu bei, diese Spirale nach unten zu unterbrechen. Bloß wie denn?
III. Ein besseres (ressourcenentfaltendes) Organisationsmodell?
Das Positivmodell, welches ich hier ins Spiel bringen möchte, beschränkt sich auf die Steuerungsabläufe ("governance structures") in Universitäten. Es geht von dem Gedanken aus, daß -um es in den Worten Hans Brinckmanns, des Kasseler Universitätspräsidenten, zu sagen -"die Kernstruktur [der Universität], die aus der Tradition der Universität überkommen ist, ... heute als moderner eingeschätzt werden [sollte], als es sich viele innerhalb wie außerhalb des Hochschulsektors vorstellen können". Die Universität, ich wiederhole es, weist viele Merkmale auf, die heute von innovativen und effizienten Organisationen verlangt werden. Ihre Reform kann man in der Tat leicht von der Arbeitsebene, von den operativen Einheiten aus denken und entwickeln. Denn im Fall der Universität sitzt die entscheidende Expertise bei den Jägern des operativen Geschäfts: den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, den Instituten und Seminaren, den Fächern. Diese, und nur diese, verfügen durch ihre Nähe zum operativen Handeln, durch ihre Vertrautheit mit den konkreten Arbeitsvollzügen über die Kenntnisse, die für das "Was" und das "Wie" der Verbesserung unverzichtbar sind. Damit diese Experten des operativen Geschäfts das freigeben, was nur sie haben: das intime Vorort-Wissen, muß man ihnen Handlungsvollmacht lassen. Damit sie diesen Einfluß aber nicht zur bloßen Befriedigung partikularer Interessen einsetzen, muß die Autonomie der operativen Einheiten gebunden werden. Diese Funktion der Rückbindung aufs Ganze blieb in der alten Universität unbesetzt. Es ist jedoch m. E. eine unabdingbare Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Universitäten, daß sie jetzt wahrgenommen wird. An dieser Stelle kommt an dem von mir bevorzugten Modell die Leitung ins Spiel, welche die Autonomie der operativen Einheiten - ich formuliere das bewußt überspitzt und paradox - überwachen und steuern können muß.
Das Modell weist also der Zentrale eine aktivere Rolle als in der alten Universität zu. Dies, um der Gefahr von Partikularismen, Selbstverstrickungen in Vertrautes und Lähmung durch Routine zu entgehen. Die Zentrale kann aber das Handeln der dezentralen Einheiten keinesfalls ersetzen; das unterscheidet das Modell von bürokratischen Lösungen. Sie fungiert als Anwalt der Gesamtorganisation und wirkt als Impulsgeber, Strukturierer und Evaluierungsinstanz (zumindest als Instanz, vor der man sich legitimieren muß) am Reformprozeß mit. Mit Zentrale meine ich hier zunächst die Universitätsleitung, deren Entscheidungs- und Regulierungsbefugnisse meines Erachtens zu Recht in jüngster Zeit gestärkt worden ist. Als "Subzentrale" kämen auch die Dekane in Betracht, deren Professionalität für diese Funktion aber erst vergrößert werden müßte.
Das grundsätzliche Problem dieses Organisationsmodells, nennen wir es das Modell der "rückgekoppelten Autonomie", liegt in seiner Paradoxie: Wie können Autonomie und Kontrolle so gegeneinander ausbalanciert werden, daß erstere (die Autonomie) letztere (die Kontrolle) nicht unterläuft und daß letztere nicht erstere erstickt?
Aus nicht-universitären Organisationen sind analoge Dilemmata ebenso bekannt wie interessante Ansätze ihrer Lösung. (Ich darf hier auf eigene Untersuchungen, vor allem zusammen mit Charles Sabel 1993-1995 verweisen.) Der Schlüssel zur Überwindung des Dilemmas liegt offenbar in bestimmten Übereinkünften zwischen den beteiligten Parteien: wenn Verhaltensregeln institutionalisiert werden, die es - in einem definierten Budgetrahmen und Zeitkontingent - der Disposition der operativen Einheiten überlassen, wie sie bestimmte Ziele erreichen ("Lernen" im Sinn des offenen Experimentierens mit gegebenen Ressourcen); wenn ferner Leitung und operative Einheiten sich darauf verständigen, die Pros und Kontras erprobter Versuche der Zielerfüllung in transparenten Verfahren gemeinsam zu bilanzieren ("Evaluierung"), um auf dieser Grundlage neue Vereinbarungen über Ziele, Ausstattungen und Zeiträume zu treffen ("Redefinition") - dann können der Vertrauensschutz für die operativen Einheiten und das Mobilisierungsziel der Reform in der Tat in Einklang gebracht werden. Der Vertrauensschutz für die operativen Einheiten wäre durch die Garantie von Geld und Zeit gesichert, gälte allerdings nur für die vereinbarte Zeit. Der Mobilisierungseffekt würde durch die Dynamisierbarkeit der Zielerwartungen erreicht ("moving targets"), jedoch wäre diese Dynamik durch die Vereinbarung kanalisiert, daß die Redefinitionen im Konsens zwischen operativen Einheiten und Leitung erfolgen sollen. Verhaltensregeln, die diesem Muster folgen, beruhen auf einer Weiterentwicklung der Idee, daß Organisationen in Vertragsbeziehungen gründen.
Ich gebe zu, daß diese Organisationsregeln der rückgekoppelten Autonomie am Beispiel von Unternehmen unter Innovationsstreß gewonnen worden sind - womit ich mit meinem eigenen Satz von der Kontextgebundenheit und mangelnden Übertragbarkeit von Organisationspraktiken in Schwierigkeiten gerate. Deshalb füge ich sogleich hinzu, daß man noch genauer durchspielen muß, ob und wie ein entsprechender Modus der Verknüpfung von Autonomie und Rückkopplung tatsächlich auch für die Reform der Universitäten entwickelt werden könnte. Ich selbst bin mir freilich nach einigen einschlägigen Erfahrungen an unserer Universität sicher, daß dies möglich ist und daß man es probieren sollte. Dabei denke ich an unser Sparund Erneuerungskonzept vom Anfang 1995. Ohne daß wir uns als Exekutoren des Modells gesehen hätten, haben wir damals doch schon mit Elementen einer universitären Variante des Modells "rückgekoppelter Autonomie" experimentiert.
Konzentrierte ich mich in diesem Teil meines Vortrags auf die Steuerungsabläufe innerhalb der Universität, so kann ich die Perspektive umstandslos auf die Regelungsprozesse zwischen Universität einerseits und Staat andererseits ausweiten, ohne Ihre Zeit noch lange in Anspruch nehmen zu müssen. Die Ausgestaltung des Außenverhältnisse muß Prinzipien folgen, die ihrer Struktur nach denen entsprechen, auf die wir schon bei der Suche nach verbesserten Organisationsformen im Innern der Universität gestoßen waren. Konkreter: Der Modus der rückgekoppelten Autonomie kann in der Universität nur funktionieren, wenn er (cum grano salis) auch das Verhältnis zwischen der Universität einerseits und ihrem politischen bzw. administrativen Umfeld andererseits steuert. Was wir von der Regierung und unserem Minister verlangen müssen, ist vor allem echte Handlungsautonomie im Rahmen klarer, zeitlich begrenzter Zielvereinbarungen und, ganz besonders wichtig, für die vereinbarten Ziele und Zeiträume Planungssicherheit. Damit schließt sich der Kreis meiner Überlegungen. Die Verpflichtung zur Reform der Universität müssen wir und wollen die meisten von uns auf uns nehmen, wenn wir auf den verständigen und verläßlichen Partner in der Landesregierung - allgemeiner: in Politik und Verwaltung - zählen können, den wir für die Reform nach dem Muster der rückgekoppelten Autonomie brauchen.
Erlauben Sie mir noch ein Postskriptum, das ich unter die Frage stellen möchte- Vorwärts zu Humboldt? Es ist in letzter Zeit immer wieder gesagt worden, Humboldt könne uns den Weg zur Erneuerung der Universitäten weisen. Vehement taten dies - im letzten Semester übrigens hier, von diesem Katheder aus - so unterschiedliche Persönlichkeiten wie der sächsische Staatsminister Hans Joachim Meyer und der Göttinger Kollege Martin Baethge. Ich stimme mit dieser Position überein, wenn man - wie Meyer und Baethge es taten - Humboldt metaphorisch nimmt und im wesentlichen folgende Gesichtspunkte betonen will:
Daß Wissenschaft kein hermetisches System ist, sondern prozessual verstanden wird und daß die Einheit von Forschung und Lehre essentiell bleibt - auch wenn sie nur noch institutionell und kooperativ zu sichern ist, nicht mehr aber in jedem einzelnen Schritt der universitären Lehre zur Geltung gebracht werden kann.
Daß die Idee der Universalität der Wissenschaften im Sinn einer gesicherten Chance wechselseitiger Anregung und Durchdringung gerade für eine Universität in unserer Zeit festgehalten werden muß, in der transdisziplinäre Konzepte wichtiger werden. Hier liegt dann auch eine nicht unterschreitbare Grenze für alle Bemühungen um Konzentration und Profilbildung an einem Standort.
Daß schließlich das Prinzip "Bildung durch Wissenschaft" auch in einer differenzierten, praxisgeöffneten Universität gelten soll, indem wir es als unsere Pflicht anerkennen zu prüfen, "wie wir den für die Folgen seines Tuns blinden Fachexperten als Ausbildungsproril vermeiden können" (Baethge).
In einem Punkte jedoch besitzt Humboldt gewiß keine Aktualität mehr: im Hinblick auf sein Eingriffs- und Dynamisierungskonzept. Humboldt sah den Staat als Anwalt und Träger einer Gesamtkultur, die vielleicht immer eine Fiktion war, die aber heute mit Sicherheit nicht mehr existiert. In seiner Konzeption stand der Staat zur Universität in einer uns heute eigenartig vorkommenden Mischbeziehung von Ermöglichung und Vormundschaft, von Fürsorge und Kuratel. Einerseits sollte der Staat die Universität mit auskömmlichen Mitteln versehen und gegen partikulare Interessen aus der Gesellschaft abschirmen. Andererseits legitimierte seine eigene Verpflichtung auf die Kultur den Staat - die eingangs zitierten Passagen aus Humboldts Briefen sollten daran erinnern -, die Universität rigoros zur Ordnung zu rufen, ja für diese zu handeln, falls die Universität ihrer Rolle in der Kultur nicht mehr entsprach. Die staatlich inszenierte Berliner Universitätsreform besaß für Humboldt ihre Rechtfertigung in solchem Fehlverhalten der damaligen Universitäten.
Der moderne Staat ist jedoch der demokratische Parteienstaat, der die Partikularität der Mehrheit als parlamentarisch gewählte Regierung vertritt - auch gegenüber der Universität. Eingriffe, die aus dieser Partikularität heraus erfolgen und die sich in der Hochschulpolitik der jeweiligen Regierung kristallisieren, kann die Universität mit wissenschaftlichen Erwägungen - wenn's denn nötig ist kritisch beantworten und zurückweisen. Sie darf bloß nicht so naiv sein zu erwarten, daß der Staat sie immer alimentieren müsse, auch wenn dies durch dessen eigene Interessen nicht mehr abgedeckt sein sollte. Insofern weist uns der Wunsch, der Staat möge uns ein verständiger und verläßlicher Partner im Modell der rückgekoppelten Autonomie sein, auf uns selbst zurück.
Das Verhältnis zwischen Staat und Universität ist nüchtern geworden. Es ist eine Beziehung des kalkulierten Gebens und Nehmens. Erledigen wir deshalb immer zuerst unsere Hausaufgaben. Greifen wir die Chancen, die wir zur Selbsterneuerung (noch) haben, konsequent auf. Beweisen wir unsere Handlungsfähigkeit. Dann wird sich die andere Seite unserem Wunsch nach ordentlicher Ausstattung und förderlichen Rahmenbedingungen kaum entziehen können.
Literaturverzeichnis
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Veröffentlichung:
Rückgekoppelte Autonomie. Göttinger Universitätsreden 94, Göttingen 1999, Vandenhoeck & Ruprecht, pp. 23-42 (Rückgekoppelte Autonomie. Steuerungselemente in lose gekoppelten Systemen, in: Anke Hauff, ed., Hochschulen managen? Luchterhand Verlag, Neuwied 2000, pp.25-38).